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Meinung: Das Verständnis hat Grenzen

Die Ost-Regierungschefs wollen von einigen Reformen verschont werden – und die Geduld der Westler doch nicht überstrapazieren

Von Matthias Schlegel

Die Reaktion fiel kurz und trocken aus: Dass der Osten im Vermittlungsverfahren zur Steuerreform Sonderforderungen stelle, könne „nicht angehen“, sagte Bundesfinanzminister Eichel. Das würde schließlich Einnahmeausfälle für alle bedeuten.

Dass der oberste Kassenwart bei solcherlei Vorstößen die Taschen zuhält, ist nicht weiter verwunderlich. Das ist seinem Amt geschuldet. Der schroffe Verweis auf die Gesamtinteressen der Länder ist freilich eine neue Nuance in der Argumentation. Und die drückt aus: Irgendwann stößt das Verständnis für die neuen Länder an seine Grenzen.

In den Altbundesländern trifft Eichels Weigerung auf offene Ohren. Mehrfach ist in jüngster Zeit von Ministerpräsidenten West ein angebliches Anspruchsdenken Ost in die Schranken gewiesen worden. Genau in diesem Dilemma bewegten sich auch die Ost-Regierungschefs, als sie am Sonntagabend in Potsdam ihre gemeinsamen Positionen zu den Reformvorhaben der Bundesregierung auszuloten versuchten.

Natürlich sind die neuen Länder nach wie vor in einer Ausnahmesituation. Dazu reicht es schon, auf die doppelt so hohe Arbeitslosigkeit zwischen Rügen und Thüringer Wald zu verweisen. Geplante Reformvorhaben entfalten unter dieser Bedingung gänzlich andere Wirkungen als im Westen. Und die erdrückende finanzielle Bürde der DDR-Sonderrenten ist eine Altlast, die die neuen Länder zwar zu tragen, aber in keiner Weise zu verantworten haben.

Doch Bund und Altbundesländer sind für solche Argumente kaum noch zugänglich. Das Verständnis dafür schwindet im Westen ungefähr proportional mit dem Grad der Zumutungen, die die geplanten Reformen an alle Bürger im geeinten Deutschland stellen. Das Gefühl der Solidarität kommt – soweit überhaupt noch vorhanden – in der unübersichtlichen Gemengelage der konkurrierenden Interessen zunehmend unter die Räder.

„Gemeinsame Schnittmengen“ hat Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck bei dem Gespräch in Potsdam ausgemacht, das ursprünglich sogar „geheim“ bleiben sollte. Diese Einschätzung offenbart eine gewisse Ernüchterung, zumal etliche selbstbewusste Statements vor allem der CDU-Regierungschefs in den vergangenen Wochen einen engen Schulterschluss über Parteigrenzen hinweg suggeriert hatten. Doch die besonders eifrigen Milbradt (Sachsen), Althaus (Thüringen) und Böhmer (Sachsen-Anhalt) überschätzen wohl nicht nur die Langmut ihrer eigenen CDU-Parteiführung, sondern auch den Mut und die Handlungsspielräume der SPD-Ministerpräsidenten.

Angela Merkel hatte angesichts der allerorts hinausposaunten Meinungen des noch unverbrauchten Thüringer Regierungschefs zunächst demonstrativ Verständnis für die abweichenden Positionen der Länder geäußert. Später hat freilich Dieter Althaus seine Zustimmung zum Vorziehen der Steuerreform relativiert – und im Bundesrat gemäß der Parteilinie dagegen gestimmt. So ambitioniert die Ost-Länderchefs auch auftreten – es ist zu vermuten, dass sie auch in ihren weiteren Gesprächen letztlich an die Grenzen der Parteiräson und des Vermittelbaren stoßen – und damit ein weiteres Mal von der gewachsenen Normalität im Ost-West-Verhältnis eingeholt werden.

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