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Debatte ums Impfen: Im Schutz der anderen

Kaum eine andere Maßnahme der Medizin hat eine so große Erfolgsbilanz aufzuweisen wie die Impfung. Millionen Menschen verdanken Impfungen ihr Leben. Der größte Misserfolg der Impfprogramme ist - ihr Erfolg.

Kinderkrankheit“ klingt harmlos. In der deutschen Sprache wird das Wort gern im übertragenen Sinne gebraucht. Eine Kinderkrankheit, das ist ein harmloses, vorübergehendes Wehwehchen. Sie ist etwas, dass man durchmachen muss, um erwachsen zu werden. Ein verhängnisvoller Irrtum, wie das Beispiel der Masern zeigt. Diese vermeintliche Kinderkrankheit führt nicht selten zu schweren Lungen- oder Hirnentzündungen, mitunter sogar zum Tod. Und das, obwohl es eine wirksame Impfung gibt.

Die Masern könnten längst ausgerottet sein – wie die Pocken. Stattdessen gibt es immer wieder Epidemien. Nicht etwa auf fernen Kontinenten, sondern bei uns. 2006 starben bei einer Masernepidemie in Nordrhein-Westfalen zwei Kinder, Hunderte mussten im Krankenhaus behandelt werden. Zurzeit grassieren die Masern in Hamburg.

Kaum eine andere Maßnahme der Medizin hat eine so große Erfolgsbilanz aufzuweisen wie die Impfung. Millionen Menschen verdanken Impfungen ihr Leben. Ihr genialer Trick besteht darin, das Immunsystem gegen Krankheitserreger zu wappnen, noch bevor diese den Körper attackieren. 1952 erkrankten in Deutschland noch 10 000 Menschen an der Kinderlähmung, inzwischen ist das furchtbare Leiden fast verschwunden – dank Impfung. Dem gefährlichen Hepatitis-B-Virus kann heute mit Impfschutz ebenso begegnet werden wie potenziell krebserregenden Papillomviren. Auf der anderen Seite erweisen sich mit Aids und Malaria jene Krankheiten als besonders furchtbar, gegen die es bisher keine Impfung gibt.

Der größte Misserfolg der Impfprogramme ist ihr Erfolg. Die Tatsache, dass Masern, Mumps, Röteln oder Kinderlähmung mit Impfungen zurückgedrängt wurden, wiegt uns in trügerischer Sicherheit und macht Eltern mitunter leichtfertig. Und leichtgläubig gegenüber professionellen Impfgegnern. Ein Sechstel der Kinder, die vor drei Jahren in Duisburg an Masern erkrankten, waren auf ärztlichen Rat hin nicht geimpft worden. Oft sind es anthroposophische Ärzte oder Homöopathen, die Impfungen als künstlichen Eingriff in das Naturgeschehen ablehnen oder zumindest von ihnen abraten. Sie veranlassen die Eltern, ihren Kindern den Impfschutz zu versagen. Auch wenn die Behauptungen der Impfgegner von den „harmlosen“ Kinderkrankheiten und den angeblich gefährlichen Impfungen nicht den Tatsachen entsprechen – woher sollen das die Eltern wissen? Sie vertrauen der Autorität des Arztes.

Auf der 1. Nationalen Impfkonferenz in Mainz hat nun Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt dazu aufgerufen, die „Impfmüdigkeit in der Bevölkerung zu stoppen“. Aber wie soll dieses „Stoppen“ aussehen? Soll es einen Impfzwang geben, sollen ungeimpfte Kinder als potenzielle Infektionsherde aus Schulen ausgesperrt werden?

So verständlich solche Gedanken angesichts von Epidemien sind – Zwang ist nicht der richtige Weg, um dem Problem beizukommen. Im Gegenteil: Wer die Impfpflicht erklärt, kann damit rechnen, dass die Gegner noch fanatischer werden und dass das Misstrauen in der Bevölkerung wächst. Trotzige Impfablehnung statt Akzeptanz wäre die Folge, zumal der „harte Kern“ der Verweigerer bei lediglich ein bis drei Prozent der Bevölkerung liegt. Der weitaus größte Teil der Menschen ist Argumenten gegenüber aufgeschlossen. Erst recht, wenn es um ihre Kinder geht. Und umso mehr, wenn die Argumente so überzeugend sind wie im Fall der Impfung. – Seite 7

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