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Meinung: Der falsche Blick zurück

Warum die Filbinger/Oettinger-Debatte Konservative eigentlich nicht tangieren sollte

Zehn DIN-A4-Seiten lang war Günther Oettingers Trauerrede auf Hans Filbinger. Die erste Seite galt der Anrede, die letzte dem Zuspruch an die Familie, sechs Seiten Filbingers Leistungen für Baden-Württemberg, knapp zwei seiner Rolle im Dritten Reich. Und nur zehn Zeilen davon beschönigten und verfälschten wirklich Filbingers Tun. Aber es sind diese zehn Zeilen, die Empörung auslösten und den heftigen Widerspruch nicht nur der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel provozierten. Dies wiederum führte im Gegenzug zu teilweise heftigen Solidaritätsbekundungen für Oettinger vom konservativen Flügel seiner Partei. Das ist das eigentlich wirklich Überraschende in der Affäre.

Am vehementesten kam das (später abgebremste) Lob für Oettinger vom Vorsitzenden der baden-württembergischen CDU-Landesgruppe im Bundestag, Georg Brunnhuber. Der nannte die Rede einen großen Schritt für die Anhänger der CDU, erfreulich für die christlich-konservative Seele, gar Oettingers Meisterprüfung. Der Fraktionsvorsitzende im Landtag, Stefan Mappus, war ähnlich angetan, und ein dritter ausgewiesener Konservativer, Jörg Schönbohm, nannte die Kritik Angela Merkels an Oettinger schädlich, zog aber gleichzeitig einen klaren Trennungsstrich zwischen Nationalsozialismus und konservativen Grundlinien. Warum, so fragt man sich dennoch, begeistert die Glorifizierung von Filbingers Rolle in der NS-Zeit die Konservativen? Müssten sie sich nicht wie Schönbohm abgrenzen?

Der Nationalsozialismus hat fast alle jene Werte zerstört, die konservativen, also bewahrenden, Menschen traditionell wichtig waren und sind:

Die Nazis haben das unabhängige deutsche Rechtssystem der Parteidisziplin der NSDAP unterworfen und die Freiheit der Gerichte von staatlichem Einfluss abgeschafft.

Die Nazis haben den Kirchen ihre Autonomie genommen, haben nicht ohne Erfolg versucht, sie einem völkisch-rassischen Denken zu unterwerfen, sie quälten Geistliche in KZs und Gefängnissen.

Die Nazis haben den Begriff der soldatischen Ehre zerstört. Sie haben die Wehrmacht für einen Angriffskrieg missbraucht und deren Angehörige vor allem in Osteuropa zum systematischen Mord an Zivilisten angestiftet.

Die Nazis haben schließlich, das unfassbarste ihrer Verbrechen, Millionen Juden, Zigeuner, Behinderte, unschuldige Menschen, ermordet und damit einen der wichtigsten Werte, den Schutz des menschlichen Lebens, unter ihren Stiefeln zertreten.

Konservative Menschen müssten also alles, was sich mit dem Nationalsozialismus gemein gemacht hat, verachten. Sind sie im Falle Filbinger blind, weil sie bei einem nach dem Krieg um den Aufbau des Landes verdienten konservativen Politiker dessen Verstrickungen in der NS-Zeit nicht wahrhaben wollen? Gilt da immer noch – bei Schönbohm klingt das leider an – der, der die Themen benennt, als Nestbeschmutzer? Wenn dem so wäre, müsste die CDU über diesen falschen Blick zurück endlich anfangen nachzudenken.

Gerd Appenzeller

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