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Meinung: Der mit den Islamisten tanzt

Pakistans Alleinherrscher braucht die Extremisten, um den Westen das Fürchten zu lehren. Der sollte dennoch auf Demokratie setzen

Was Barack Obama Anfang August da ankündigte, richtete sich an Amerikas Wähler – nur müssen seine Worte vor allem den Verantwortlichen in Pakistan in den Ohren gedröhnt haben. Im Wettbewerb um die Präsidentschaftskandidatur hatte der Demokrat seine außenpolitischen Pläne präsentiert. Mit dem Fazit: Es läuft nicht gut für Amerika im Antiterrorkampf, und das liegt auch an Pakistan, Washingtons wichtigem Alliierten. Damit sich das ändert, sagte Obama, wäre er als Präsident für US-Luftschläge gegen islamische Terroristen im Grenzgebiet zu Afghanistan. Und er würde im Zweifel Finanzhilfen an Islamabad zurückhalten. Eine echte Drohung angesichts der über zehn Milliarden Dollar, die die USA seit dem 11. September 2001 allein an Unterstützung für Pakistans Antiterrorkampf gezahlt haben. Und Obama steht mit seiner Einschätzung nicht alleine.

Extremisten und die Art, wie Pakistans Regierung mit ihnen umgeht, sind ein Problem. Gerade beraten Pakistan, Afghanistan und Stammesälteste in Kabul, wie der Gewalt Herr zu werden ist; bereits 2006 klagte der britische Colonel Chris Vernon, der „Kopf“ der afghanischen Taliban operiere von Quetta aus, Hauptstadt der pakistanischen Provinz Balutschistan. Und das offenbar unbehelligt von der Staatsmacht: Nur wenn US-Vizepräsident Dick Cheney in Islamabad mehr Engagement im Antiterrorkampf einfordert, wird zeitnah ein hoher Taliban gefangen gesetzt. Noch immer finden in den Wehrdörfern und Berghöhlen der Stammesgebiete an der Grenze zu Afghanistan ausländische Kämpfer Unterschlupf. Hartnäckig hält sich das Gerücht, Al-Qaida-Chef Osama bin Laden selbst verstecke sich dort. Auch wenn es im Kaschmirkonflikt ruhig geworden ist: Trotz Annäherung zwischen Islamabad und Indien existieren in Pakistan weiter Netzwerke kaschmirischer Terrorgruppen, die sich zunehmend international orientieren.

Und weil nicht nur in den USA, sondern schon in diesem Jahr in Pakistan Wahlen anstehen, debattiert Washington, wie man mit Staatschef General Pervez Musharraf weiterarbeiten will. Querdenker wie der Wissenschaftler Frederic Grare vom Carnegie Endowment for International Peace fordern den radikalen Wechsel: Keine Unterstützung des Militärs mehr und neue Sanktionen gegen Pakistan, sollte sich Musharraf bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen nicht klar auf den demokratischen Weg begeben. Der frühere Diplomat im State Department, Daniel Markey, setzt dagegen auf noch mehr Unterstützung für das Militär, um dessen Kooperation mit dem Westen zu sichern. Damit aber würden die USA nicht nur den Islamisten Propagandamaterial liefern, sondern auch die große Mehrheit der Pakistaner frustrieren. Weil Washington Demokratie predigt, aber eine Diktatur unterstützt. Und solch falsch verstandener Pragmatismus schürt letztlich die Gefahr, dass sich immer mehr Pakistaner wegen fehlender politischer Alternativen und stillstehender sozialer Entwicklung tatsächlich den Islamisten zuwenden.

Die kommenden Monate werden aufregend, das zeigt schon der vergangene Donnerstag. In Islamabad überschlugen sich auf einmal die Gerüchte, Musharraf könnte den Ausnahmezustand ausrufen lassen. Unter anderem hätte das eine Verschiebung der Parlamentswahl um mindestens zwölf Monate bedeutet. Wenige Stunden später ließ der Präsident die Spekulationen vom Tisch wischen. Ob das Minidrama ein Test war, ob es daran liegt, dass das Oberste Gericht jetzt über die Rückkehr von Ex-Premier Nawas Scharif nach Pakistan berät, oder ob damit den USA signalisiert werden sollte, „wir können auch anders“, ist Spekulation und vielleicht alles auf einmal. Klar ist aber: Bei diesem Schritt hätte Musharraf nicht nur Pakistans Bürger gegen sich gehabt. Auch der Westen muss sich nicht einschüchtern lassen. Er braucht Pakistan, aber nicht so sehr, als dass er keinen Druck ausüben könnte. Die Abhängigkeit ist weniger ungleich, als oft getan wird, und die Gefahr, Islamisten könnten in Islamabad die Macht übernehmen, liegt noch in weiter Ferne. Im Gegenteil: In den kommenden Monaten gäbe es die Chance, den Demokratieprozess neuzubeleben. Das wünscht sich auch die große Mehrheit im Land, das haben die vergangenen Monate gezeigt.

Im Juli drückt auf Islamabad schon morgens eine schwüle Hitze, doch in diesem Sommer zogen Hunderte in der sonst ruhigen Hauptstadt zu Protesten auf die Straße. Da waren schwarz verhüllte junge Frauen, die mit Stöcken auf Polizisten losgingen, und langbärtige Studenten und paramilitärische Truppen, die aufeinander schossen. Der Sturm auf die Rote Moschee, in der der Extremist Abdul Raschid Ghasi lange unbehelligt zum Kampf gegen die Ungläubigen aufrief, schaffte es auf die Titelseiten europäischer und US-Zeitungen. Über den Protest der Rechtsanwälte dagegen, die in schwarzen Anzügen und weißen Hemden gegen die Entlassung des Obersten Richters, Ifthikar Chaudhry, demonstrierten, wurde weniger berichtet. Dabei waren es diese Proteste für Chaudhry und gegen Musharraf, die die größten politischen Unruhen auslösten, seit sich der General 1999 an die Macht geputscht hat.

Musharraf hatte den für ihn unbequemen Richter im März mit fadenscheinigen Vorwürfen aus dem Amt geworfen, das Oberste Gericht machte dies im Juli in einem für den Alleinherrscher höchst peinlichen Urteil rückgängig. In der Zwischenzeit waren es Anwälte und andere normale Bürger, die ihre Wut auf die Regierung monatelang auf die Straße trieb, nicht die Islamisten. Doch der Atommacht Pakistan ist erst dann echte Aufmerksamkeit sicher, wenn es um islamischen Terror geht.

Zugegeben: In Afghanistan sind die Taliban so stark wie seit 2001 nicht mehr, im vergangenen Sommer führten Spuren der Terroristen, die Flugzeuge von London aus über dem Atlantik explodieren lassen wollten, nach Pakistan. Doch deshalb stehen das Land insgesamt und seine rund 160 Millionen Bewohner nicht allesamt kurz vor der Talibanisierung. Nord- und Südwasiristan in den besagten Stammesgebieten sind dünn besiedelt und winzig im Vergleich zum Rest des Landes. In Balutschistan und der Nordwest-Provinz, wo die MMA, das Bündnis religiöser Parteien, mitregiert beziehungsweise alleine die Macht hat, leben weniger als ein Fünftel der Pakistaner. Dagegen strahlen in Lahore, Hauptstadt der bevölkerungsreichsten Provinz Pundschab, pakistanische Topmodels wie indische Bollywood-Stars von den Billboards, die Studenten der Pakistan School of Fashion träumen vom Catwalk in Paris, nicht von der Moschee.

Tatsächlich war das Ziel, als sich Indien und Pakistan vor 60 Jahren voneinander trennten, kein Gottesstaat à la Iran gewesen. Zwar sollte das neue Pakistan den Muslimen auf dem Subkontinent eine eigene, sichere Heimat geben. Doch als am 14. August 1947 der neue Staat gegründet wurde, wollte der als Vater der Nation verehrte Mohammed Ali Jinnah vor allem eines: ein demokratisches, anderen Religionen gegenüber tolerantes und sozial fortschrittliches Land.

Dass dieses Ziel bis heute nicht erreicht ist, hat viele Gründe, darunter Jinnahs frühen Tod, die Interessen der Feudalherrscher, mehrere Kriege mit Indien, die Abspaltung von Bangladesch und Pakistans Besonderheit, dass regelmäßig das Militär die Macht übernahm und so zur alles durchdringenden Kraft wurde. Dabei nutzten die einzelnen Regierungen immer wieder die Islamisten für ihre Ziele. Doch es dauerte bis 1977, als Pakistans dritter Militärdiktator Sia Ul Haq religiöse Gewalt und Politik auf die heute so massiv spürbare Art miteinander verschränkte. Damals wurden Extremisten entscheidende Akteure der Sicherheitspolitik, in Afghanistan gegen die Sowjets, in Kaschmir gegen den Erzrivalen Indien.

Musharraf wiederum ist alles andere als ein Fundamentalist. Aber er ist durch und durch Pragmatiker, und das bestimmt sein Verhältnis zu den Extremisten: Als Armeechef bediente er sich der „Freiheitskämpfer“ in Kaschmir, als Präsident koaliert er, so es seinen Interessen dient, mit der MMA. Dass er dennoch vielen als einziger Garant für Stabilität gilt, dürfte am exzellenten Selbstmarketing liegen. Und daran, dass den zivilen Regierungen in Pakistan oft wenig zugetraut wird. Doch nach acht Jahren an der Macht hat Musharraf das Problem aller Alleinherrscher eingeholt: Er will nicht mehr von ihr lassen. Der „freundliche Diktator“ selbst sieht das als Dienst am Staat – er behält das Ruder in der Hand, bis das Land reif ist für mehr Demokratie. Nur tut er wenig dafür, damit dieses Ziel bald erreicht wird.

Der Präsident ist nach wie vor Armeechef, hat seine Macht kontinuierlich ausgebaut, die Führer der zwei größten Oppositionsparteien dagegen, die Ex-Regierungschefs Nawas Scharif und Benasir Bhutto, sind seit Jahren im Exil. Musharraf war für viele ein Hoffungsträger, jetzt ist er kein Garant mehr für die Weiterentwicklung Pakistans, sondern ein Hindernis. Doch ist die Angst vor islamischen Extremisten groß genug, gelten solche Themen schnell als Luxus. Der General weiß das. Und hat damit einen Grund mehr, die religiösen Fanatiker gut sichtbar zu halten.

Dabei läuft Musharraf auf einem Drahtseil, bei dem er am Ende nur auf der einen oder anderen Seite herunterfallen kann. Durch sein Taktieren verliert er je nachdem international an Glaubwürdigkeit oder bringt die eigenen Bürger gegen sich auf, nur die eigentlichen Probleme bleiben unberührt. So hat Musharraf die Wandlung zum engen US-Verbündeten gegen heftigen Widerstand in Militär und Geheimdienst ISI vollzogen. Pakistan lieferte prominente Al-Qaida-Mitglieder wie Ramsi Binalschib oder Khalid Scheich Mohammed aus, ISI-Mitglieder führen Powerpointpräsentationen vor über die zur Strecke gebrachten Terroristen. Nur lässt das Engagement dramatisch nach, wenn es nicht um ausländische Kämpfer geht, sondern um die Taliban, die als Paschtunen praktisch als Landsleute gelten.

Seit Jahren wird die Reform der Koranschulen, der Madrassen, und ihrer Lehrpläne angekündigt, passiert ist kaum etwas. Vor dem Angriff auf die Rote Moschee konnten die Islamisten in den Seminaren jahrelang hemmungslos predigen. Jetzt liegen die Schulen in Trümmern, doch andere radikale Madrassen bilden weiter Tausende Schüler aus. Dabei soll nicht der Islam in Pakistan generell angeprangert werden. Die gefürchteten Koranschulen sind nicht alle ein Hort künftiger Terroristen. Wenn sie wie soziale Einrichtungen agieren, rekrutieren sie nicht automatisch Dschihadisten, sondern füllen oft nur die klaffenden Lücken im staatlichen Bildungswesen. Denn Pakistans Erziehungssystem ist eines der schlechtesten in Südasien.

Laut Weltbank kann nur jeder Zweite im Land lesen und schreiben. Trotzdem dümpeln seit Jahren die Ausgaben für den Bildungssektor bei etwa 1,7 Prozent des Bruttosozialprodukts. In armen Gegenden sind die Madrassen der einzige Ort, der Kindern etwas Bildung vermittelt. Zusätzliches Essen und ein Bett vergrößern ihre Attraktivität. Generell, so die Asian Development Bank, würden sich in Südasien die Sozialsysteme positiv entwickeln – in Pakistan nicht. Auch deshalb wäre es riskant, weiter auf das Militär als Garant von Stabilität zu setzen. Zwar hält die Armee Pakistan bisher unter schwierigen Bedingungen zusammen. Was ihr nicht gelingt, ist die Weiterentwicklung der total verkrusteten Sozialstrukturen.

Dafür verabschiedet die Regierung seit Jahren den höchsten Militärhaushalt Südasiens. Die Armee kauft weiter Kampfflugzeuge und U-Boote entsprechend ihrer an Indien ausgerichteten Sicherheitsstrategie. Dieser Fokus bestimmt im Übrigen auch das Verhalten Pakistans in Afghanistan mit, argumentiert Christian Wagner von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Demnach wäre für die Armee alles besser als ein indienfreundliches Kabul – also auch eines, das die Taliban nicht ganz zur Ruhe kommen lassen. Ein weiterer Grund, weshalb die Interessen des Westens und eines Garnisonsstaates schlecht vereinbar sind.

Ob nun Musharraf die Uniform ablegt, Benasir Bhutto für eine Koalition mit ihm zurückkehrt, ob und wie in diesem Jahr gewählt wird – all das entscheidet sich in den kommenden Monaten. Prognosen sind unmöglich, die Interessen zu vielschichtig, die möglichen Koalitionen zu breit, die Lage ist schlicht überkomplex. Ein Festklammern am Status quo aber sollte sich eigentlich niemand leisten. Pakistan nicht und der Westen auch nicht. Gut wäre es, würde Musharraf freie und faire Parlamentswahlen zulassen, sich dann einer echten Präsidentenwahl stellen und im Falle eines Sieges die Uniform ablegen. Und die USA können ihm sehr deutlich machen, dass sie diesen, und nur diesen, Weg voll unterstützen würden.

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