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Meinung: Der Schrecken bleibt

Vor zwei Jahren wurde das Bundesamt für Zivilschutz aufgelöst. Die Analysen der Kommission zum Schutze der Zivilbevölkerung gammeln in den Schubladen des Innenministeriums.

Vor zwei Jahren wurde das Bundesamt für Zivilschutz aufgelöst. Die Analysen der Kommission zum Schutze der Zivilbevölkerung gammeln in den Schubladen des Innenministeriums. Der Bund fühlt sich nicht mehr zuständig und hat das ungeliebte Überbleibsel aus dem Kalten Krieg den Länder zugeschoben. Denen fehlt ebenso das Geld. Sie wollen nicht und sträuben sich. Das Ergebnis dieses Gerangels konnte die Öffentlichkeit am Freitagabend in der Tagesschau besichtigen. Es ist niederschmetternd: Deutschland ist nicht ernsthaft auf einen Anthrax-Anschlag vorbereitet. Stattdessen passierten unglaubliche Fehler - eine Mischung aus Schlamperei, mangelnder Erfahrung, Selbstüberschätzung, fehlendem Wissen und falscher Technikgläubigkeit.

Zum Thema Foto-Tour: Milzbrand weltweit --> Online Spezial: Bio-Terrorismus Stichwort: Milzbrand Hintergrund: Seuchenexperten Web-Link: Robert-Koch-Institut Acht volle Tage hat es allein gedauert, bis die Proben ihren Weg vom Rudolstädter Arbeitsamt in das Jenaer Referenzlabor gefunden haben. Im Ernstfall hätte dieses Bearbeitungstempo einer Reihe von Menschen bereits das Leben kosten können. Die Inkubationszeit für Lungenanthrax beträgt zwei bis sieben Tage. Wenn Erkrankte bei den ersten Symptomen nicht sofort schwere Dosen an Antibiotika bekommen, ist der Tod unabwendbar. Mehr noch: Wäre in Thüringen gar ein Brief mit kriegstauglichem Anthrax eingegangen, hätte sich der feingemahlene, hoch virulente Sporenstaub durch Luftbewegungen oder über die Klimaanlage bereits über viele andere Bereiche des Gebäudes verbreiten können. Wenn solche Gefahren drohen, zählt Schnelligkeit. Verzögerungen wegen Feiertag oder Wochenende darf es nicht geben. Hat das Thüringer Landesamt für Lebensmittelsicherheit das anders gesehen?

Überhaupt sind solche Landesämter, auch wenn sie rascher und verantwortungsvoller arbeiten, von vorneherein die falsche Anlaufstelle. Mitarbeiter von Gesundheitsbehörden mögen noch so gute Wissenschaftler sein. Die Diagnose von Anthrax oder anderer biologischer Kriegswaffen ist diffizil und erfordert sehr spezielle Kenntnisse. Der Milzbrand-Bazillus hat viele harmlose Verwandte, die überall im Boden und in der Natur vorkommen. Wenn also weiße Päckchen auftauchen, die bereits mehrere Stunden im Stadtwald oder in einer Fußgängerzone in Neumünster auf dem Boden gelegen haben, wundert es nicht, dass sich darauf solche harmlosen Bazillen in hellen Scharen tummeln.

Die Färbungsanalyse unter dem Mikroskop beweist noch nichts. Wenn dann aber bei der physiologischen Identifikation auch noch klinische Standardtests eingesetzt werden, geht das Ergebnis mit Sicherheit in die Irre. Diese Tests sind auf häufig vorkommende Bakterienarten in Kliniken hin konzipiert und arbeiten nur dort zuverlässig. Einen seltenen Vertreter wie Bacillus anthracis dagegen verwechseln die industriell gefertigten Routinetests sehr leicht mit einem Verwandten, der auf Krankenstationen bisweilen moderaten Ärger macht. Der Computer aber denkt nicht. Er macht seine Tests und spuckt am Ende einen Bakteriennamen aus. Nur: Der Laborant, der diesen Befund liest, der allerdings muss mit den wissenschaftlichen Grenzen einer so automatisierten Bestimmung von Bakterienarten vertraut sein.

Da fehlt es offenkundig an Wissen und an Erfahrung. Und es gleicht einem Lotteriespiel, ob beim nächsten Verdachtsfall die richtige Kompetenz am richtigen Ort zu finden sein wird, oder ob der weiße Staub erneut in die Obhut gutwilliger Laboramateure gerät. Das darf nicht so bleiben. Deutschland braucht ein zentrales Sicherheitslabor, dessen Mitarbeiter speziell auf Bio- und Chemiewaffen geschult sind. Das Robert-Koch-Institut ist kein Ersatz. Es wurde in die Rolle des obersten Anthrax-Fahnders gezwungen, weil die Gesundheitsministerin rasch etwas vorweisen wollte. Diese Zweckentfremdung darf nicht zum Dauerzustand werden, sonst leiden die eigentlichen Aufgaben dieses Instituts für die Volksgesundheit. Ein zentrales Sicherheitslabor kostet Geld, viel Geld. Doch die Investition ist notwendig, auch über die aktuelle Terrorkrise hinaus.

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