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Meinung: Der Sieg kann kommen

Angela Merkel denkt vom Ende her – und emanzipiert deshalb sich und die CDU

Sie ist reizend, wenn sie führt, nicht wahr? Angela Merkel, die CDU-Chefin, die mit Edmund Stoibers Unterstützung nach dem Wahlkampf auch Fraktionsvorsitzende von CDU und CSU im Bundestag wurde – sie schickt sich an, Gerhard Schröder herauszufordern. Fragt man die Bürger, ist sie ganz dicht dran am Kanzler, ist sie fast so beliebt wie er. Und schon wird die nächste K-Frage aufgeworfen, die nach ihrer Kompetenz. Ihre Machtposition ähnelt formal der des SPD-Vorsitzenden. Aber für Merkel gilt es jetzt wegen ihrer herausgehobenen Stellung doppelt: Unausweichlich steht am Ende nur noch eins von beiden, ihr Scheitern oder ihre Kanzlerkandidatur.

Merkel handelt danach. Sie denkt vom Ende her. Was soll das Ergebnis sein, wie kann ich es erreichen? Als Physikerin weiß sie, wie wichtig Balance ist, wie Gewichte austariert werden müssen und können. Was Helmut Kohl im Gefühl hatte, von seiner Zeit als Mainzer Ministerpräsident angefangen, in der er als der große Reformer galt, hat sie gelernt, durch Anschauung. Eben bei Kohl, aber auch bei Wolfgang Schäuble, ihrem Vorgänger in beiden Ämtern. Sein Intellekt verschaffte Schäuble den Nimbus des Unfehlbaren und damit Unantastbaren; das galt bis zum ersten Fehler. Da zeigte sich, dass Schäuble sich kein Netz an Abhängigkeiten und Loyalitäten geschaffen hatte. Diesen Fehler macht, eingedenk ihrer Jahre in Kohls Schatten, Merkel nicht.

Vom Ende her denken: Die Union muss sich, wie alle Wähleranalysen zeigen, neuen Wählergruppen öffnen. In Großstädten ist sie, bis auf wenige Ausnahmen, die zweitstärkste Kraft, nicht die stärkste. Vielen jungen Frauen, die nicht das tradierte Rollenverständnis leben wollen, oder die zum Beispiel mit Kindern schlicht noch einem Beruf nachgehen müssen, ist die CDU zu altbacken. Sie, aber nicht nur sie, verlangen mehr Liberalität, womit gemeint ist: Liberalität im Umgang. Mit den Prinzipien soll das niemand verwechseln. Denn auch das belegen Analysen: Es gewinnt der Wertkonservatismus. Verbraucherfragen, Umweltschutz, soziale Gerechtigkeit in den Metropolen von morgen, diese Handlungsfelder haben Konjunktur, und die Union hat hier bisher weniger geboten als die rote-grüne Koalition.

Merkel handelt danach. Sie verbindet den Anspruch der Reform mit sich, so wie der frühe Kohl. Sie beginnt die Emanzipation von tradierten Vorstellungen der Union, sichert sich aber ab durch den Rückgriff auf Traditionen der Partei. Zum Beispiel: Die CDU ist konservativ genug, dass ihr das Bekenntnis zur Nation abgenommen wird. Sie kann daher leichter den Dialog über die Bedeutung der Nation im Prozess der Globalisierung mit den Kritikern beginnen. Die Haltung etwa der Organisation Attac und ihre Warnung vor den Gefahren ist ja nicht nur Protest, sondern in Teilen auch konservativ. Merkels Antwort darauf ist wählerwirksam: Die Union ist die Partei, die den staatlichen Ordnungsrahmen und die Eigeninitiative austarieren will. Das bedeutet nicht die Rückkehr zum Zentralismus und zur Nation, sondern Hinwendung zur Region. Dort, wo die Menschen verwurzelt sind, müssen Spielräume fürs Handeln entstehen.

Wertkampf ist Wahlkampf. Viele Themen der Zukunftsagenda sind mindestens wertkonservativ. So wird in dieser Legislaturperiode die Debatte über den „idealen Menschen“ im Angesicht von Bio- und Gentechnik geführt werden müssen. Zumal die Belastungsprobe bei Rot-Grün nicht geringer und für die SPD gefährlich ist, weil da die Grünen eher konservativ sind. Merkels Antwort, wählerwirksam: Der CDU als Partei des christlichen Menschenbildes kann es gelingen, denen eine Stimme zu geben, die auf die Unvollkommenheit des Menschen pochen. Und diejenigen zu repräsentieren, die – liberaler gestimmt – den Fortschritt ethisch verantwortbar vorantreiben wollen.

Die Koordinaten der Union werden auf diese Weise nicht verschoben. Aber Merkel emanzipiert sie und sich von ihrem alten Bild – dass nur Kohl II herrsche. Das muss sie auch. Denn ihr Versuch, sich durch das Einbinden ihrer stärksten Kritiker, von den kritischen Baden-Württembergern bis hin zum enttäuschten Friedrich Merz, neue Loyalitäten aufzubauen, wird nicht reichen. Wenn Merkel nicht in diesem Sinne führt: Themen identifiziert, Standpunkte definiert, Übereinstimmung koordiniert. Wenn sie es tut, wird sie Kanzlerin. Vielleicht.

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