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Meinung: Der Staat bin dann ich

Wer sich für eine radikale Steuerreform ausspricht, muss wissen, was das heißt: radikale Eigenverantwortung

Von Antje Sirleschtov

Klingt doch verlockend? Die Steuern werden radikal gesenkt. 36, vielleicht nur 25 Prozent Spitzensteuersatz. Was für einen Wirtschaftsboom könnte das auslösen, wenn alle so viel Geld sparen und dann selbst wieder investieren könnten? Und sozial gerecht scheint es obendrein. Weil man 30 000 oder 40 000 Euro verdienen kann, ohne überhaupt ans Finanzamt zu zahlen. Wie viele Familien mit drei Kindern könnte das aus der Armutsfalle holen? Von der Zauberformel der Einfachheit gar nicht zu reden. Auf einer Postkarte dem Finanzamt schreiben, schon in zwölf Monaten. Ein ewig Gestriger, wer sich diesem Projekt verweigert!

Und doch ist die große Steuerreform, die uns jetzt die Politiker aller Parteien mit glänzenden Augen versprechen, nicht viel mehr als eine Hoffnung für eine noch ferne Zeit. Denn auch, wenn das Land in den vergangenen Monaten unter dem Reformwerk der Regierung geächzt hat – Gesundheitskompromiss, Subventionsabbau, die Sparbeschlüsse bei Renten, bei den Gehältern im öffentlichen Dienst –, geschafft haben wir noch viel zu wenig.

Zumindest genügt es nicht für ein Steuersystem, das den Namen Kirchhoff trägt. Es reicht wahrscheinlich nicht mal für die Pläne des Unions-Politikers Friedrich Merz aus. Denn ihre Ideen kosten sehr viel Geld. 25, wenn nicht 35 Milliarden Euro Steuereinnahmen verlieren die öffentlichen Kassen bei Merz, das doppelte bei Kirchhoff. Sollen wir das über neue Schulden finanzieren? Bei einem staatlichen Kreditvolumen von 1,3 Billionen Euro und rund 60 Milliarden Euro, die allein 2004 dazukommen? Oder die Mehrwertsteuer auf 25 Prozent anheben? Jeder weiß, dass das eine so wenig sinnvoll ist wie das andere. Bleibt nur, dieses Geld beim Bund, den Ländern und Kommunen einzusparen.

Man kann das gutheißen, und im Prinzip sind sich die Deutschen ja auch einig darüber, dass „die da oben“ sowieso das Geld mit vollen Händen zum Fenster rauswerfen. Aber man muss sich vorher darüber im Klaren sein, welche Konsequenzen es hat, wenn die große Steuerreform mit der großen Sparaktion verbunden wird. Mehr Geld für den Einzelnen bedeutet nicht nur weniger Beamte in den Behörden. Es folgt auch mehr Verantwortung für jeden von uns. Wenn es um die Finanzierung des Eigenheims geht. Aber auch, wenn der Finanzminister in Zukunft nicht mehr knapp die Hälfte aller Krankenversicherungsbeiträge für Rentner zahlen wird. Oder den kostenlosen Hochschulabschluss. Für all das wird dieser Staat dann nämlich weniger Geld ausgeben können. Es wird ein anderer Staat sein, der nicht mehr für jedes Sozialprojekt aufkommt, jeden Spielplatz um die Ecke, das Förderprogramm für das schönste Dorf im Landkreis. Vielleicht sogar nicht mal mehr für die Sanierung jedes Rathauses.

Dafür werden die Bürger sorgen müssen. Indem sie sparen für ihr Alter, für die Ausbildung ihrer Kinder, für Krankheit und Pflege. Auch für einen neuen Reisepass oder eine Baugenehmigung, für die sie dann höhere Gebühren bezahlen, weil der Sozialstaat seine Leistungen nur noch für die wirklich Bedürftigen verbilligt zur Verfügung stellt. Das ist der Preis für weniger Abgaben, die uns eine solch große Steuerreform bringen kann. Und es lohnt sich, jetzt darüber zu reden, wann Deutschland bereit sein wird, diesen Preis zu zahlen. Denn es klingt doch verlockend, oder nicht?

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