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Meinung: Der Wille des Volkes? Das bin doch ich

George W. Bush muss nun mit einem neuen Kongress regieren – sein Stil bleibt unversöhnlich

Am Donnerstag tritt der neue US-Kongress zusammen. Zum ersten Mal seit zwölf Jahren haben die Demokraten in Abgeordnetenhaus und Senat die Mehrheit. Nach der verlorenen Parlamentswahl vor acht Wochen hatte George W. Bush gesagt, er habe die Botschaft verstanden: Die Bürger seien Spaltungsmanöver, Parteienstreit und Irakkrieg leid; er werde auf die Demokraten zugehen. Viele waren skeptisch.

Sechs Jahre lang hatten Bush und sein Politstratege Karl Rove nach der Devise „divide et impera“ gespalten und geherrscht – Konsens und Fairness galten wenig, mit allerlei Tricks versuchte der Präsident seinen Willen durchzusetzen. So schnell werde aus einem Raubtier kein Vegetarier. Doch tatsächlich, schon an den nächsten Tagen speiste Bush mit den künftigen Mehrheitsführern in Haus und Senat, beide konnten sich kaum erinnern, wann zuletzt sie eine Einladung ins Weiße Haus erhalten hatten. Und er entließ Pentagonchef Donald Rumsfeld.

Dann folgte eine lange Weihnachtspause – und alle guten Vorsätze schienen vergessen. Gelegenheit, „bipartisanship“, Überparteilichkeit zu beweisen, hätte Bush genug gehabt, vor allem in der Irakpolitik. Doch als die aus Republikanern und Demokraten gebildete Baker-Kommission ihre Empfehlungen vorlegte, nutzte der Präsident nicht etwa die Gelegenheit, um sich von seinem verfehlten Kurs zu verabschieden. Er lavierte, um Zeit zu schinden. Die für Mitte Dezember versprochene Vorstellung seiner neuen Strategie verschob er in den Januar und schickte alle möglichen Freunde vor, um den Baker-Bericht zu diskreditieren. Inzwischen versucht Bush, die Nation auf eine Truppenverstärkung einzustimmen, statt, wie erhofft, einen Einstieg in den Ausstieg.

Was vor allem aufstößt, ist der Stil – mehr noch als die Inhalte. Eine höhere Macht verhalf den Amerikanern zu dieser Einsicht: Gerald Ford, Präsident von 1974–77, verstarb Weihnachten. Die Elogen auf ihn klingen wie ein Gegenprogramm zu Bush. Ford riskierte Karriere und Nachruf und schützte den zurückgetretenen Richard Nixon vor strafrechtlicher Verfolgung wegen des Watergate-Skandals, um die Spaltung der Nation zu überwinden. Das kostete Ford 1976 die Wahl. Heute ehrt Amerika ihn als den Präsidenten, der aus dem Kongress kam und die Kooperation mit dem Parlament suchte. Inhaltliche Gegensätze wollte Ford nicht mit PR-Manövern überdecken, man müsse sie austragen. Für die Ankündigung der umstrittenen Amnestie für Vietnamdeserteure suchte er kein gefälliges Publikum. Er wählte die Höhle des Löwen, eine Militärversammlung, um seine Politik zu erklären.

Das ist der prinzipielle Unterschied: Bush hat ein „imperiales“ Verständnis von der Präsidentschaft. Er meint, der Präsident habe in schwierigen Zeiten zu wenig Macht gegenüber Parlament und Gerichten. Und er versucht, dies durch Verfahrenstricks wettzumachen. Ford hatte eine parlamentsfreundliche Auffassung von Gewaltenteilung. Präsident und Kongress haben Respekt voreinander und sollten bestmöglich harmonieren. Amerikas Regierungsprinzip „für das Volk, durch das Volk“ sei nur durch Kooperation mit den Volksvertretern zu verwirklichen.

Dieser Gegensatz ist umso beredter, als beide dieselben zwei Verfechter der „imperialen“ Auffassung im engsten Kreis hatten: Dick Cheney, unter Ford Stabschef im Weißen Haus, unter Bush Vizepräsident, und Donald Rumsfeld, unter beiden Verteidigungsminister. Ford hat ihren Einflüsterungen widerstanden, Bush sich gebeugt.

Die Optimisten hoffen, Bush brauche eben Zeit, um die Macht der faktischen Mehrheitsverhältnisse anzuerkennen. Bill Clintons Stabschef Leon Panetta sagt aus eigener Erfahrung, es dauere Wochen, eine Wahlniederlage zu betrauern und den Schock zu überwinden. Nur fehlt Bush die Biegsamkeit Clintons. Der ging auf die Gegner zu und gewann der Niederlage noch Vorteile ab: Wer die Mitte gewinnen muss, braucht auf die Flügel der eigenen Partei keine Rücksicht mehr zu nehmen. Bush will recht behalten. Und triumphieren. Verpasst Bush diese Gelegenheit zum Einlenken, wird er zum Vertreter einer traurigen Form der Überparteilichkeit: ein Präsident, dem der Rückhalt in allen Lagern fehlt. Weder imperial, noch kongenial mit dem Kongress. Und für Amerika ganz fatal.

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