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Meinung: Die Balkan-Krise: Ein Krieg, schon wieder

Europa sieht sich mit dem fünften Balkankrieg seit dem Zerfall des alten Jugoslawiens konfrontiert. Nach Slowenien, Kroatien, Bosnien und Kosovo ist die Reihe jetzt an Mazedonien.

Europa sieht sich mit dem fünften Balkankrieg seit dem Zerfall des alten Jugoslawiens konfrontiert. Nach Slowenien, Kroatien, Bosnien und Kosovo ist die Reihe jetzt an Mazedonien. Die südliche der ehemals jugoslawischen Teilrepubliken hatte sich einst als einzige ohne Blutvergießen von Belgrad lösen können. Weshalb holt die Gewalt den kleinsten der Nachfolgestaaten ausgerechnet heute ein, wo doch nach dem Ende der Milosevic-Ära allgemein mit einer Stabilisierung der Region gerechnet wurde?

Von Brüssel bis Washington zeigt man sich vom Konflikt, der an der Grenze zum Kosovo scheinbar harmlos seinen Anfang nahm, überrascht und reagiert hilflos. Es handele sich um eine innermazedonische Angelegenheit, heißt es in den europäischen Kapitalen. Grenzveränderungen, wie sie die bewaffneten albanischen Extremisten anstreben, würden zudem nicht in Frage kommen. Ende der Durchsage.

Die Regierung in Skopje soll also mit dem Problem alleine fertig werden. Mazedonien wird dazu allerdings nicht in der Lage sein. Der Kleinstaat stand seit der Geburt vor zehn Jahren im Verruf, eine künstliche Konstruktion zu sein. Die Mehrheit der slawischen Mazedonier und die schnell wachsende Minderheit der Albaner lebten von Anfang an in Misstrauen nebeneinander. Daran hat auch die Zusammenarbeit auf der Ebene der politischen Parteien beider Volksgruppen nichts geändert. In den beiden Lagern werden die gegenseitigen, teilweise rassistisch geprägten Vorurteile gehegt und gepflegt. Die dominierende slawische Mehrheit hat den albanischen Mitbürgern nur widerwillig und scheibchenweise Rechte zugestanden. Teilweise zu Recht fühlen sich die albanischen Mazedonier noch immer als "Bürger zweiter Klasse". Umgekehrt hat die Minderheit bei der Mehrheit aber auch immer wieder Zweifel an ihrer Loyalität dem gemeinsamen Staat gegenüber aufkommen lassen.

Heute droht der mazedonische Staat zusammenzufallen. Polizei und Armee des Landes sind für den Guerillakrieg nicht gewappnet. Jeder Schuss auf die unsichtbaren Rebellen wird die Zerreißprobe für den Vielvölkerstaat noch verschärfen. Von Skopje zu erwarten, den Konflikt in Eigenregie lösen zu können, klingt daher wie ein schlechter Witz. Derzeit sind es noch Polizei und Rebellen, die aufeinander schießen. Die Staatsmacht wird fast ausschließlich von slawischen Mazedoniern vertreten. Sie stehen ausschliesslich albanischen Rebellen gegenüber. Bis zum Bürgerkrieg ist da kein weiter Weg. Die mehrheitlich albanische Bevölkerung im Westen Mazedoniens macht aus ihren Sympathien für die Bewaffneten kein Geheimnis. Am Ende werden in Mazedonien Nachbarn aufeinander schießen.

Der Krieg in Mazedonien ist also auch hausgemacht, und nicht wie lange von der Regierung in Skopje behauptet, einfach nur aus dem Kosovo importiert. Letzteres war eine Schutzbehauptung, um das Bild der Harmonie nicht zu stören und die Ursachen nicht angehen zu müssen. Allerdings haben bestimmt auch äußere Einflüsse den Ausbruch des bewaffneten Konflikts begünstigt. Da ist einerseits die Nähe zum Kosovo, wo die Nato-Friedenstruppe es nicht geschafft hat, die Grenzen wirkungsvoll zu sichern. Die so genannte albanische "Nationale Befreiungsarmee" in Mazedonien hatte bei ihren Vorbereitungen keine logistischen Probleme. Auch mit der Rebellentruppe im südserbischen Presevo-Tal ist man in enger Kooperation. Die Kämpfer können sich über die löcherige Grenze relativ ungehindert bewegen - Waffen und Munition waren schon vor langem für den Tag X vorbereitet.

Der Krieg in Mazedonien hat viele Väter. Die bewaffneten Gruppen der albanischen Extremisten stoßen in ein politisches Vakuum vor, das auch mit dem Regierungswechsel in Washington zu tun hat. Die Bush-Administration hat ja deutlich zu verstehen gegeben, dass man sich in der europäischen Krisenregion weniger engagieren möchte. Die USA sprechen von Rückzug, und von den Europäern sind keine ernsthaften Konzepte für die unruhige Region zu vernehmen. Großalbanische Nationalisten wittern da die Chance, ihre Pläne zu realisieren.

Wie schon während des Konfliktes im Kosovo hilft die albanische Diaspora in der Schweiz oder in Deutschland mit großzügigen Spenden. Die bewaffneten Rebellen bestimmen das Tempo. Die Vertreter der internationalen Gemeinschaft tun sich schwer, mitzuhalten. Wer über keine Konzepte verfügt, setze am besten auf den Status Quo: Auf dem Balkan war dies schon immer die Einladung an Extremisten aller Couleur, die Initiative in die Hand zu nehmen. Die Frage des künftigen Status für das Kosovo ist da nur ein Beispiel. Der Westen drückt sich um die Festlegung auf eine längerfristige Lösung und hält die ehemals serbische Provinz lieber in der Schwebe. Mit einem klaren Fahrplan hätte Europa im Süden des Kontinents zumindest mitgestalten können. Heute kann der Westen wieder nur reagieren. Nach zehn Jahren verfehlter Balkanpolitik hangelt man sich noch immer von Krise zu Krise und spielt Feuerwehr.

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