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Meinung: Die Bundeswehr verteidigen

Strucks Budget erzwingt eine neue Armeereform – jenseits des Wehrpflichtstreits

Von Robert Birnbaum

Es mag ein bisschen despektierlich sein, Peter Struck mit dem Aschenputtel zu vergleichen. Aber mit der Anleihe bei den Gebrüdern Grimm lässt sich die Situation des Bundesministers der Verteidigung recht genau beschreiben. Bei den Koalitionsverhandlungen steht am Montag das Thema Sicherheitspolitik an, und vor Struck liegt ein Haufen Erbsen, die ihm da einer aus einem Topf mit der Aufschrift „Bundeswehrreform“ vor die Füße gekippt hat, bevor er etwas überstürzt das Haus verließ. Nun muss Struck das Durcheinander sortieren: die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen. Niemand redet bisher laut über diese „Reform der Reform“. Aber jeder weiß, sie ist notwendig, allein schon aus Finanzgründen.

Der vielfach beschädigte Vorgänger Rudolf Scharping konnte das nicht mehr zugeben, ohne noch mehr Schaden zu nehmen. Der Neue kann es. Er hat ja auch schon angefangen nachzudenken: 60 Großraum-Transportflugzeuge A400M sind selbst zuzüglich eventueller Vertragsstrafen immer noch billiger als 73: Und sie bieten immer noch mehr Flugzeug als die 84 Transall-Veteranen.

So müsste das dann allerdings nach dem Aschenputtel-Verfahren weiter gehen. Denn Scharping hat großzügiger bestellt, als Hans Eichel je vor hatte zu bezahlen. Und Privatisierungsgewinne stehen bisher nur auf dem Papier. Was nicht heißt, dass Privatisierung und die Einführung der Betriebswirtschaft in die tarnfarbene Großbürokratie falsch wären. Falsch waren die Hoffnungen auf rasche Amortisierung, die Scharping nährte.

Die Notwendigkeit der Reform-Reform also ist unbestritten. Höchst strittig ist, wie weit der Reformbedarf geht. Der Streit übersetzt sich in den Koalitionsverhandlungen in einen Dissens zwischen SPD und Grünen über die Wehrpflicht. Auf den ersten Blick handelt es sich um die alte ideologische Schlachtordnung: Hie „Staatsbürger in Uniform“, hie „Zwangsdienst ohne Not“.

Auf den zweiten Blick sieht die Sache viel nüchterner aus. Weder sind die Wehrpflicht-Gegner Antimilitaristen – sonst könnten sie nicht gut einer Freiwilligen- und Berufsarmee das Wort reden. Noch geht es den Wehrpflichtanhängern wirklich ums Prinzip – sie ziehen sich längst auf pragmatische Argumente zurück, etwa, dass durch den Grundwehrdienst als Spezialform des „Schnupperkurses“ weit mehr, billiger und vor allem besserer Nachwuchs garantiert werde, als ihn Profi-Rekrutierer heranschaffen könnten.

Einsätze in aller Welt

Tatsächlich geht es in dem Streit mithin um die Frage, ob die Scharpingsche Reform lediglich einiger – schmerzhafter – Korrekturen bedarf, die sie den Haushaltsrealitäten anpasst, oder ob nicht doch ein grundsätzlicher Schnitt fällig wäre. Diese Frage hat durch die Erfahrungen der letzten vier Jahre noch an Aktualität gewonnen, in denen die Bundeswehr zur Welt-Einsatzarmee geworden ist: Kosovo, Horn von Afrika, Afghanistan. Diese Einsätze leisten Profis. Daran ändert auch der semantische Trick nichts, dass junge Männer mit zwei oder vier Jahren Dienstzeit nicht mehr „Zeitsoldaten“ heißen, sondern „Freiwillig längerdienende Grundwehrdienstleistende“. Ein Wortspiel; in Wahrheit sind auch dies – zeitweilige – Berufssoldaten. Vollends sind das jene Spezialisten, von denen die Bundeswehr dringend noch viel mehr brauchte, um auch nur die jetzt laufenden Einsätze ohne Dauerüberlastung garantieren zu können: Heeresflieger, Sanitäter, Starkstromelektriker.

Der Mangel in diesen Bereichen wird allseits beklagt. Die Konsequenz, dass man eben mit all den Mitteln nach derlei Spezialisten suchen muss, die jedes normale Unternehmen nutzt, scheuen die Beteiligten noch. Man müsste dann nämlich zum Beispiel über eine höhere Besoldung reden oder bessere Karrierechancen. Eine solche weitere Differenzierung des Berufsbilds Soldat wäre ein Schritt weiter in Richtung der Berufsarmee.

Aber ist der Schritt überhaupt vermeidbar? Das Berufsbild des Soldaten im Einsatz ist weit anspruchsvoller als das des Verteidigungsangestellten in Uniform, der sich theoretisch bereit hielt für einen Krieg, den es nicht geben durfte. Der Hauptfeldwebel von gestern ging pünktlich heim und kroch höchstens ein paar Tage pro Jahr im Manöver ins Zelt. Der Job war nicht einfach, das bestimmt nicht. Aber der Hauptfeldwebel von heute verbringt Monate in fernen Ländern, manchmal unter Lebensgefahr, oft unter Dauer-Manöverstress, Lagerkoller inklusive.

Weil das so ist, kommt Scharpings Reform von zwei Seiten unter Druck: finanziell und prinzipiell. Die Koalitionäre können die Antwort kaum in zwei Wochen geben. Aber sie könnten so klug sein, die Frage weiter zuzulassen. Machtworte für die Wehrpflicht ändern an der Realität nichts.

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