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Meinung: Die chinesische Krankheit

Beim Kampf gegen die Vogelgrippe zeigt sich Peking eigensinnig

Alexander S. Kekulé Als 1968 die „Hongkong-Grippe“ ausbrach, war der Stadtstaat noch britische Kronkolonie. Auch bei der „Asiatischen Grippe“ von 1957 war die Herkunft aus dem Reich der Mitte nicht offensichtlich. Als dann 2003 die Lungenseuche Sars die Welt in Atem hielt, richteten sich alle Augen auf Hongkong, wo die ersten Fälle berichtet wurden – und damit erstmals auch auf Peking, das die Millionenstadt inzwischen von den Briten übernommen hatte.

Damals vergingen viele wertvolle Monate, bis die chinesische Regierung einräumte, dass Sars nicht nur in Hongkong, Vietnam und Thailand, sondern auch in der angrenzenden südchinesischen Provinz Guangdong ausgebrochen war. Wie sich später herausstellte, hatte die Virusinfektion dort sogar ihren Ursprung. Ein halbes Jahr lang hatte Peking versucht, die Seuche alleine in den Griff zu bekommen, ohne den Rest der Welt zu informieren. Berichte über die Zahlen der Erkrankten und Toten und die verzweifelten Quarantänemaßnahmen wurden wie Staatsgeheimnisse gehütet.

Durch die Sars-Epidemie hat sich die Zusammenarbeit der Chinesen mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ein wenig verbessert. Jetzt, bei der Bekämpfung der Vogelgrippe, dürfen WHO-Mitarbeiter immerhin einreisen und sich – unter ständiger Begleitung ihrer chinesischen Kollegen – ein grobes Bild von der Lage machen. Früher war so etwas undenkbar. Für die Seuchenbekämpfung wichtige Daten, etwa die Häufigkeit von Antikörpern gegen Influenzaviren bei der Bevölkerung, gibt Peking aber nach wie vor nicht Preis. Die über 60 offiziellen Ausbrüche von Vogelgrippe der letzten zwei Jahre wurden verspätet und mit dem stereotypen Zusatz gemeldet, die Lage sei bereits unter Kontrolle.

Noch eklatanter war die Desinformation bei Infektionen von Menschen: Während aus den Nachbarländern Vietnam, Thailand und Kambodscha bisher mehr als hundert Erkrankungen gemeldet wurden, schien das Virus in China die Menschen zu verschonen. Den Experten, die menschliche Infektionen mit Vogelgrippe in den unterentwickelten Regionen des Agrarstaates vermuteten, wurden eigene Untersuchungen verboten. Trotzdem hielt sich die WHO mit öffentlicher Kritik zurück, um die mühsam aufgebauten Kontakte nicht zu gefährden.

Vergangene Woche hat China endlich zugegeben, dass es auch im Reich der Mitte menschliche Infektionen mit der Vogelgrippe gegeben hat, angeblich sollen es nur zwei Todesfälle sein. Man darf annehmen, dass die wahre Zahl der Opfer wesentlich höher liegt. Einzelheiten über diese Fälle wären aber für die WHO von größter Wichtigkeit, um die Gefahr der Vogelkrankheit für den Menschen und das Risiko einer Pandemie einschätzen zu können. Fast zeitgleich mit dem Eingeständnis der menschlichen Infektionen gab die chinesische Führung bekannt, wie sie die Seuche diesmal in den Griff bringen wird: Alle 5,2 Milliarden Hühner, Enten und Gänse des Riesenreiches sollen gegen die Vogelgrippe vom Typ H5N1 geimpft werden.

Das ist eine unvorstellbar große und zugleich gefährliche Aufgabe. Selbst wenn die dafür erforderliche Unmenge an Impfstoff produziert werden kann – was Peking behauptet –, muss jedes Tier einzeln in die Hand genommen und mit einer Impfpistole gespritzt werden. Nach vier Wochen ist eine zweite Impfung erforderlich. Weil Geflügel bereits nach kurzer Lebenszeit geschlachtet wird, sind pro Jahr mehrere Durchgänge nötig. Die Chancen, die Seuche eines Tages ganz loszuwerden, stehen schlecht, weil sich das Influenzavirus H5N1 bei asiatischen Wildvögeln fest eingenistet hat. Das medizinisch weiter entwickelte Vietnam hat deshalb ähnliche Pläne verworfen, auch weil etwa 100 000 ausgebildete Kräfte dafür benötigt würden.

Schließlich besteht die Gefahr, das Virus durch die Kampagne weiter zu verschleppen, wenn sich die Impftrupps nicht immer gründlich desinfizieren. Auch der Schutz der Arbeiter vor dem Vogelgrippevirus ist essenziell, weil theoretisch jede menschliche Infektion der Ausgangspunkt für die befürchtete Grippepandemie sein kann. Fachleute beobachten den Impfaktionismus deshalb mit Sorge. Doch wie es aussieht, wird sich Peking von seinem eigenwilligen Kurs nicht abbringen lassen.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

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