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Neu und quergerechnet: Ein Porsche Panamera wird im Leipziger Werk zusammengeschraubt.

© dpa

Kontrapunkt: Die Industrie hat die Krise als Verkaufsargument entdeckt

Der jüngste Erfolg der Autoindustrie in Brüssel bei der Regulierung des CO2-Ausstoßes zeigt: Unternehmenslobbyisten wissen die Angst der Politik vor einer Rezession zu nutzen.

Von Anna Sauerbrey

Der deutschen Automobilindustrie hätte eigentlich nichts Besseres passieren können als die Krise. Das große politische Bauchpinseln begann mit der Einigung über großzügige Kurzarbeitsregelungen und setzte sich fort mit der Abwrackprämie. Bei der Kennzeichnungspflicht für den CO2-Ausstoß von Autos, die seit Dezember 2011 gilt, konnten die Hersteller sehr günstige Konditionen aushandeln. Die Kategorien werden nicht, wie von Umweltverbänden gefordert, nach den absoluten Emissionen gebildet, sondern ins Verhältnis zum Gewicht gesetzt. Für schwere Autos ist es damit einfacher, in einer umweltfreundlichen Kategorie zu erscheinen, als für Kleinwagen. Gestern nun haben die Autobauer einen neuen Coup gelandet. Die EU hat sich das Ziel gesetzt, bis 2010 den CO2-Ausstoß um 20 Prozent gegenüber 1990 zu senken. Umsetzen sollten das Ziel die Hersteller, denen für ihre Flotte jeweils Obergrenzen für den CO2-Ausstoß gesetzt werden sollten. Doch die Autohersteller handelten mit der Kommission einen günstigen Deal aus: So dürfen sie etwa die Null-Emission von Elektroautos auf ihre Flotte anrechnen lassen und haben es so leichter, die Obergrenze zu erreichen. Monsterkarossen werden auch in Zukunft gebaut werden können.

Die Krise macht die Politik erpressbar. Für die Banken ist das ausführlich beschrieben worden. „Too big to fail“, zu groß, um sie untergehen zu lassen, waren zahlreiche Institute. Die Banker strichen die Rettungsmilliarden ein und verweigerten sich einer effektiven Regulierung. Finanztransaktionssteuer? Ziehen wir eben weg aus Frankfurt am Main!

Der deutschen Autoindustrie ging es selten besser

Das Krisenargument scheinen nun auch andere Wirtschaftszweige für sich entdeckt zu haben. Am jüngsten Beispiel, dem Beispiel der Autoindustrie, lässt sich das recht gut nachzeichnen. Bei der Ausgestaltung der nun vorgelegten Regulierung des CO2-Ausstoßes konsultierte die EU-Kommission wie üblich eine Expertengruppe von Interessenvertretern. Laut „Lobby-Control“ war das die von der EU-Kommission bereits mehrfach eingesetzte Gruppe „CARS 21“. In diesem Gremium saßen nach Rechnung von Lobby Control (Link zum Pdf)13 Vertreter von Industrieverbänden und drei Vertreter von Umwelt- und Verbraucherschutzverbänden. In dem 83 Seiten starken Abschlussbericht der Gruppe kommt das Wort „Krise“ nicht weniger als 57-mal vor. Die Experten schreiben: „Die Wirtschaftskrise unterstreicht die Bedeutung der Industrie für die europäische Wirtschaft und die Notwendigkeit, die Automobilproduktion am Standort Europa zu erhalten.“ Die Finanzkrise habe erheblichen Einfluss auf den Umsatz der Branche gehabt. Die EU-Gesetzgebung müsse deshalb stets im Auge behalten, dass Autos erschwinglich bleiben. Auf den Protest gegen die aufgeweichte Regelung reagierte VDA-Präsident Matthias Wissmann am Mittwoch auf derselben Linie: „Gerade jetzt, wo der Sturm der Schulden- und Finanzkrise über die europäischen Automobilmärkte hinwegfegt, ist Augenmaß gefragt“, sagte er.

Nur: Zumindest der deutschen Autoindustrie geht es gar nicht so schlecht. Genauer geagt: Es ging ihr selten besser. Der jüngste VDA-Jahresbericht prahlt für 2011 mit „zahlreichen Rekorden bei Produktion und Absatz“.

Seit Beginn der Finanz- und Schuldenkrise haben Berlin und Brüssel nur einmal einem Industriezweig so richtig wehgetan: den Energiekonzernen mit dem Atomausstieg. Ansonsten zeichnet sie sich durch Rücksichtnahme aus. Das gilt für die Banken, die bislang keine Sondersteuer ertragen müssen. Und auch für die deutsche Rüstungsindustrie, die womöglich Panzer nach Saudi-Arabien und nach Indonesien liefert. Die Aufgabe der Politik ist es, einen Ausgleich zwischen unterschiedlichen Interessen zu schaffen. Natürlich heißt das, die Interessen der Wirtschaft zu berücksichtigen. Es kann allerdings nicht heißen, dass es bis die Krise vorbei ist (und ein Ende ist nicht absehbar) keine effektive Verbraucher- und Umweltpolitik mehr geben kann. Die Politik muss erkennen, wann „Too big to fail“ zur Worthülse geworden ist.

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