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Meinung: Die Krise der großen Koalition: Vorauseilender Nachruf

In Abwägung seiner Lebensleistung hat die Berliner CDU-Fraktion ihrem Vorsitzenden Klaus Landowsky das Vertrauen ausgesprochen. Das kann man getrost einen vorauseilenden Nachruf nennen.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

In Abwägung seiner Lebensleistung hat die Berliner CDU-Fraktion ihrem Vorsitzenden Klaus Landowsky das Vertrauen ausgesprochen. Das kann man getrost einen vorauseilenden Nachruf nennen. Solidarität ist gefährlich, besonders im Sport und in der Politik. Ein Fußballtrainer, der anfängt, um das Vertrauen seines Vereins zu betteln, hat ein Problem. Er muss damit rechnen, dass ihm gesagt wird, er selbst sei das Problem. Das will die CDU aber noch nicht: Landowsky sagen, dass er gehen sollte. In Anerkennung seiner Lebensleistung für Berlin, die ihm niemand nehmen kann.

Stattdessen sagt der CDU-Landesvorsitzende Eberhard Diepgen, der Fraktionschef werde seine Arbeit in den nächsten Wochen und Monaten fortsetzen. Wer Diepgen kennt, der weiß: Er formuliert entweder sehr schwammig oder sehr präzise. In diesem Fall hat er präzise die Zeit ausgeklammert, die nach den nächsten Wochen und Monaten kommt. Nach den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg zum Beispiel, wo die Christdemokraten den Rücktritt des Berliner CDU-Fraktionschefs wegen einer Parteispendenaffäre - jetzt - nicht als Wahlkampfhilfe begreifen würden. Die Bundespartei wäre auch nicht begeistert; sie hat selbst Probleme.

Vielleicht will Diepgen auch den Wahlparteitag im Mai abwarten. Dann wird der CDU-Landesvorstand neu gewählt. Die Wiederwahl Diepgens zum Vorsitzenden steht nicht infrage. Aber ein Durcheinander in der Abgeordnetenhausfraktion könnte gruppendynamische Prozesse in den Parteigliederungen auslösen, die aus dem Ruder laufen und die Neubesetzung der Parteiführung erschweren würden. In jedem Fall wäre die gute Stimmung versaut, die auf Berliner CDU-Landesparteitagen zum Pflichtprogramm gehört. Die Unbeflecktheit, auf die man vor zwei Jahren noch stolz war, mit schiefem Blick auf die spendengeschädigte Bundespartei, ist schon abhanden gekommen. Es geht jetzt um Schadensbegrenzung.

Keiner will der Vatermörder sein

Ein Rest unverbrüchlicher Männerfreundschaft mag dafür sorgen, dass Diepgen den politischen Weggefährten noch deckt, der seiner Partei mit der Spendenaffäre zweifellos schweren Schaden zugefügt hat. Eine Freundschaft, mit der die Jungen in der Berliner CDU nichts am Hut haben. Aber sie haben immer noch den größten Respekt vor dem alten Kämpfer Landowsky, der in den vergangenen zwei Wochen mehr gealtert ist als in den letzten zwei Jahren. Für den politischen Nachwuchs ist er eine Vaterfigur. Wer jetzt einen Putsch gegen ihn wagte, wäre ein Vatermörder und für immer verdammt.

Aber vom Vater muss sich jeder mal lösen. Und dieser - bislang eher gemütliche - Ablösungsprozess hat nun neuen Schwung bekommen. Mehrere ehrgeizige, fachlich kundige und politisch talentierte CDU-Spitzenfunktionäre zwischen 25 und 40 Jahren ringen noch etwas ratlos um den besten Weg, die Zukunft der Berliner CDU ohne Klaus Landowsky zu planen. Das kann, wie Diepgen sagte, noch Wochen und Monate dauern. Aber der Ansehens- und Glaubwürdigkeitsverlust des Fraktionschefs ist inzwischen so groß, dass die Fraktionsvorstandswahlen im Frühjahr 2002 nicht mehr abgewartet werden können.

Die Angst des liberalen Parteiflügels, ein bedingungsloses Festhalten an Landowsky werde die letzten zarten Bande zu den Grünen zerreißen lassen, erhöht den Entscheidungsdruck. Die Grünen sind die einzige Alternative zum Koalitionspartner SPD. Und das könnte für die CDU spätestens 2004 bedeuten: Verlust der Regierungsmacht. Trotzdem muss den Christdemokraten eine gewisse Zeit der inneren Neuordnung zugestanden werden. Schon deshalb, weil die potenziellen Nachfolger sich untereinander erst einigen müssen. Einen geborenen Nachfolger gibt es nicht, kein Wettbewerber hat die Fraktionsmehrheit sicher. Und: Der neue Fraktionschef muss mit Diepgen klarkommen. An Diepgen vorbei die CDU-Fraktionsspitze neu zu besetzen, traut sich selbst der Mutigste nicht. Es wäre auch dumm: Auf den Merkel / Merz-Effekt kann die Union in Berlin gut verzichten.

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