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Auch wenn man Kabel sehen kann: Daten sind immateriell.

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Digitale Identität: Die naive Datenkuh

Der Datenskandal bei Sony kommt nicht überraschend. Und die Werbeindustrie nimmt die Daten gern. Es geht um die Manipulation unserer Entscheidungen und die Maximierung von Gewinn.

Von Anna Sauerbrey

Es ist der größte Datenskandal der digitalen Geschichte. Millionen Namen, Geburtsdaten, Wohn- und E-Mail-Adressen hat sich Sony klauen lassen. Ein Schock? Eher nicht. Die Frequenz der Verlust- und Missbrauchsmeldungen war hoch in den vergangenen Jahren. Telekom und Bahn spionierten gezielt Daten ihrer Mitarbeiter aus. Der Online-Buchhändler Libri sicherte die Rechnungen seiner Kunden so mangelhaft, dass sie im Internet einfach so herumlagen. Google und Facebook ergaunern und horten mit immer neuen Tricks Informationen über ihre Nutzer. Nun ist eben Sony ausgeraubt worden. Wir haben ein dickes Fell bekommen. Der neue Superlativ perlt davon ab.

„Wir haben uns in unsere Rolle des ständigen Datengebers eingelebt“, schreiben die Sprecher des Chaos Computer Clubs, Constanze Kurz und Frank Rieger, in ihrem neuen Buch „Die Datenfresser“. So ist das. Die Datenkuh Verbraucher steht glotzend auf der digitalen Wiese, mampft die Blümchen, die Facebook ihr hinhält, und lässt sich willig melken. Boykott? Gefällt mir nicht. Viele sind zu Zynikern geworden. Wer seine Kreditkartendaten und Wunschlisten online speichert, dürfe sich eben nicht wundern. Unterschätzt wird allerdings die perfide Psychologie, die zu dieser Nachlässigkeit führt. Die Firmen, die mit Daten handeln, profitieren davon und fördern gezielt manches Missverständnis.

Sony hat sich Millionen Namen, Geburtsdaten, Wohn- und E-Mail-Adressen klauen lassen.

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Die erste Psychofalle: Daten sind immateriell. Selbst, wenn sie verloren gehen, scheint uns nichts zu fehlen. Meine Wünsche sind noch da, auch, wenn sie auf Facebook stehen. Die zweite: Für den Einzelnen haben Daten meist keinen ökonomischen Wert. Sind sie weg, fehlt im Portemonnaie kein Cent. Ändert der Fall Sony etwas, wenn wirklich Kreditkarten ausgespäht wurden? Oder sagt sich der Nutzer: Den Schaden zahlt doch die Bank. Das Perfideste ist, die Datenkraken haben sich tief im Sozialleben eingenistet. Wer über Jahre auf einer Spieleplattform eine Figur aufgebaut hat, wer von Freunden zu Partys nur noch übers soziale Netzwerk eingeladen wird und mitreden will über die Urlaubsbilder von „Timmi86“, kann seine Profile nicht einfach löschen. Wer einen Anbieter für den laxen Umgang mit Daten bestrafen will, zahlt mit seiner digitalen Identität. Die Folgen der Datenpreisgabe hingegen scheinen gering. Klar, die kauft die Werbeindustrie. Aber das bisschen Werbung. Weh tut das nicht.

Wirklich nicht? Übersehen wird das Ausmaß der Nutzung, um unseren Konsum zu steuern. Es geht den Werbern nicht darum, Bedürfnisse besser zu bedienen. Es geht darum, Lagerbestände loszuwerden, Preislimits auszuloten, unsere Schwächen kennenzulernen und sie auszunutzen. Es geht um die Manipulation unserer Entscheidungen und die Maximierung von Gewinn.

Unsere Freiheitsrechte sind in der Verfassung verankert, gedacht als Abwehrrechte gegen den Staat. Die Abwehr von Spionage und Manipulation durch private Firmen müsste der Datenschutz leisten. Doch den regelt jedes Land anders, meist lasch, ein grobmaschiges Netz, durch das internationale Konzerne schlüpfen. Doch: Anders als sie gern behaupten, sind deutsche Politiker nicht machtlos. Ein Anfang wäre der Datenbrief. Unternehmen müssen verpflichtet werden, Einzelne darüber zu informieren, welche persönlichen Daten es gespeichert hat. Vielleicht wäre das Schaudern dann groß genug, um die Datenkuh beim friedlichen Grasen zu stören.

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