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Unter Ehec-Schock: Die ratlosen Deutschen

Föderalismus ist eine gute Sache. Aber im Fall einer Seuche ist eine übergeordnete, weisungsbefugte Instanz zwingend geboten. Die Ehec-Epidemie ist ein Warnschuss - und ein Anlass, das Gesundheitswesen für die Zukunft besser zu rüsten.

Beginnen wir, ganz gegen die klassische deutsche Tendenz zum Übertreiben und zur Panik, mit einer positiven Erkenntnis. Die deutschen Krankenhäuser bewältigen auch eine völlig überraschende, massenhafte Infektion vieler hundert Menschen mit einem lebensbedrohlichen Erreger reibungslos. Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger arbeiten rund um die Uhr und sieben Tage in der Woche, um das Leid der Betroffenen zu lindern. In der Intensivmedizin und in den Dialysestationen wird alles getan, um die Folgen von Hus, des hämolytisch-urämischen Syndroms, in den Griff zu bekommen und lebenslange Folgeschäden zu verhindern. Ehec-Erkrankte vor allem aus dem Norden Deutschlands, wo sich die Fälle dramatisch gehäuft hatten, werden in Universitätskliniken in anderen Teilen Deutschlands behandelt. Die Versorgung von Schwerkranken funktioniert offensichtlich höchst effizient.

Das ist der gute Teil eines für die Betroffenen furchtbaren Geschehens, denn auch fast vier Wochen nach den ersten Krankheitsfällen gibt es nicht mehr als Vermutungen über den Ausgangspunkt der Ehec-Epidemie. Bis gestern waren über 2300 Fälle gemeldet, 642 mit dem HU-Syndrom. 21 Menschen starben. Auf der Suche nach den Ursprüngen war der erste Tipp geradezu klassisch deutsch: Spanische Gurken seien der Keimträger gewesen – natürlich, die mediterranen Völker mit ihrem Hang zur Schlamperei, man hörte es schon an den Stammtischen. Dumm nur, dass auf spanischen Gurken im Hamburger Großmarkt zwar auch Erreger nachgewiesen wurden, aber schuld an der Erkrankungswelle waren sie nicht. Inzwischen erheben nicht nur spanische Politiker Vorwürfe wegen der voreiligen Schuldzuweisungen. Belgische und Luxemburger Minister fragen, ob bei den Deutschen alles richtig lief.

Tatsächlich sollten sich die Verantwortlichen bei uns im Lande schon einmal mit der bislang für unvorstellbar gehaltenen Hypothese befassen, dass etwas von den Deutschen Organisiertes vielleicht doch nicht so perfekt ist, wie wir es immer annehmen. Zwei Bundesminister, 16 und mehr Landesminister oder Senatoren, zuständig für Gesundheit, Ernährung oder Landwirtschaft, Landesämter für Verbraucherschutz, dazu auf Bundesebene das Institut für Risikobewertung und das Robert-Koch-Institut, beide in Berlin – man ahnt, dass da die Informationswege, Handlungsstränge und Anordnungsebenen ziemlich kompliziert werden. Es muss gar kein böser Wille dabei sein, aber wenn lokale oder regionale tradierte Verhaltensweisen hinzukommen, parteipolitische Präferenzen in den Landesregierungen, zudem das Bemühen, sich der Öffentlichkeit als besonders zupackend präsentieren zu wollen, dann kann leicht schiefgehen, was gut gemeint war.

Föderalismus ist eine gute Sache, Subsidiarität, Handeln auf der niedrigstmöglichen Ebene – ein bewährtes Prinzip. Aber wenn es um Menschenleben geht, um Seuchen, wenn schnell und nach einheitlichen Standards gehandelt werden muss, ist eine übergeordnete, weisungsbefugte Instanz zwingend geboten. Das kann auf politischer Ebene nur das Bundesgesundheitsministerium sein, dem als Fachorgan das RKI, das Robert-Koch-Institut, zur Seite gestellt wird. Die kompetenten staatlichen Gesundheitsämter bewähren sich auf regionaler Ebene als Bindeglied zwischen der Aufgabe der Ursachenforschung vor Ort und den zentralen Handlungsempfehlungen durch RKI und Ministerium in Berlin.

Solche Vorstellungen liegen nahe, das zeigen parteiübergreifend nachdenkliche Anmerkungen. CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt spricht von einer einheitlichen Koordinierungsstelle, SPD- Gesundheitsexperte Karl Lauterbach schlägt eine kompetente mobile Eingreiftruppe vor, die Polizeigewerkschaft benennt das Robert-Koch-Institut als wünschenswerte zentrale Seuchenpolizei.

Für die Kranken und die Hinterbliebenen der Opfer kann es kein Trost sein – aber vielleicht ist diese Massenerkrankung so etwas wie ein Warnschuss, der zur Neustrukturierung im Gesundheitswesen führt. Die nächste Epidemie kommt, das ist sicher.

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