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Meinung: Die Uhrmacher Europas

Auf Monacos Rainier folgt Albert: Was der Kontinent an seinen Adelshäusern hat

Fürsten, Prinzen, Päpste: fast ein wenig undemokratisch wirken diese Zeiten, in denen das Monarchische und Absolutistische sich mit so viel Macht in unsere Leben drängt. Der Nachteil der Demokratie, schreibt Platon, liege darin, dass in ihr die Gelüste und Freiheiten ungebremst regieren und so dem Leben seine Ordnng nehmen. Nun stellt sich heraus, dass in ihr zudem eines abhanden zu kommen droht: das historische Bewusstsein.

Schon vor dem Tod Rainiers von Monaco hatte dessen Sohn Albert die Macht im kleinen Fürstentum übernommen. Sollte die nun älteste Monarchin Europas, Königin Elisabeth II., abtreten oder ableben, stünde auch hier ein Nachfolger bereit. Weder Albert noch Charles würden vermutlich im Sinne Ciceros gute Herrscher sein, für den Weisheit und Milde die wichtigsten Eigenschaften des guten Monarchen waren.

Doch darauf wird es nicht ankommen. Auch die weise Kirche wird schon bald den letzten Vertreter Gottes auf Erden vergessen machen. Das Amt hat Vorrang, bald mit einem neuen Funktionsträger.

So sinnentleert und einflusslos auch die europäischen Königshäuser sein mögen, so lächerlich sich die englische Königsfamilie in den vergangenen Jahren auch gemacht hat, allesamt erfüllen sie immer wieder die Schwundstufe ihrer Legitimation: Sie produzieren Thronfolger und die meisten von denen, ob in Norwegen oder in Spanien, sind inzwischen auch verheiratet, zudem tief im republikanischen Herzen Europas verankert.

In der Demokratie sind es nur noch die Uhrmacher, die einen Sinn für den Ablauf der Zeit haben. Der Rest ist von der Gegenwart verhaftet: Ob 11. September oder Tsunami, ob Lady Di oder der Papst, was auch immer wir gerade erleben, es ist in dem Moment das Größte und Stärkste. Als hätten wir kein Gedächtnis und keine Geduld. Dass Sabine Christiansen sagen kann, kein anderer Papst habe sich so sehr in die Politik eingemischt wie dieser, zeigt eindrucksvoll, wie das historische Bewusstsein inzwischen allein auf das jetzt und hier reduziert ist.

Über 600 Jahre wurde am Kölner Dom gebaut, dass Gerhard Schröder oder Angela Merkel mit einem ähnlich langfristig terminiertem Projekt in den nächsten Wahlkampf ziehen, ist kaum vorstellbar. Schröders Dom soll 2010 fertig sein und ist vermutlich entsprechend kleiner.

Die Demokratie ist verständlicherweise der Gegenwart verpflichtet. So sehr inzwischen, dass sie aufgehört hat, ihre eigene Zukunft, ihre eigenen Thronfolger zu produzieren: Kinder nämlich. Nach uns die Sintflut oder der Generationenkampf – aber nur kein Erbe. Als ob die Zukunft eine Option wäre.

Für viel mehr als Kontinuität stehen die Willem-Alexanders, die Haakons und Felipes dieser Welt schon lange nicht mehr. Gestalten können sie nichts, abgesehen von Albert vielleicht, der Monaco angeblich zum Finanzzentrum umbauen will, als echte Machthaber taugen die meisten kaum. Und natürlich verkörpern sie, in sklerotischer Form, eine Kontinuität, die unausweichlich ist.

Bei Platon folgt auf die „göttliche Lebensweise“ der Demokratie die Tyrannei, weil sich in ihr die Freiheit zur Willkür entwickelt. Wirkliche Gefahr droht der aufgeklärten modernen Demokratie wohl kaum. Es ist aber dennoch erstaunlich, dass sie gerade jenen Mächten, denen sie einst so stolz entkommen ist, nun so naiv gegenübersteht. Das Ende der Transzendenz wird als Verlust wahrgenommen, der Mangel an Glamour und Tradition als Manko. Offensichtlich kommt auch eine demokratische Gesellschaft nicht aus ohne Antwort auf die Frage nach ihrem Erbe, nach ihrer Zukunft. Die muss sie aber – anders als in Monaco oder in Rom – selbst in die Hand nehmen.

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