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Meinung: Die UN-Friedenstruppe ist allenfalls ein Anfang

Die Instabilität in Nahost hat ihre Wurzel in der Palästinafrage Von Hans-Dietrich Genscher

Die Debatte über die Libanonfrage ist in der Gefahr, auf das Problem der Teilnahme deutscher Soldaten an der UN-Friedenstruppe und auf den Auftrag dieser Truppe verengt zu werden. Gewiss, die grundsätzlichen historischen und moralischen Bedenken gegen eine Teilnahme deutscher Soldaten bestehen fort, und der Auftrag der UN-Friedenstruppe lässt noch immer viele Fragen offen. Darüber darf nicht übersehen werden, dass die politischen Probleme gelöst werden müssen, wenn dauerhaft Frieden und Stabilität in der Region gesichert werden sollen. Zunächst sieht die Entschließung des Sicherheitsrats 1701 im engeren Zusammenhang mit dem militärischen Konflikt zwei politische Fragen, die dringend der Lösung bedürfen. Auch hier ist die EU gefordert.

1. Die EU, die sich in besonderer Weise engagiert, sollte ihre Gedanken formulieren, für die Vorschläge, die der Generalsekretär der UN dem Sicherheitsrat bis zum 10. September für die Zukunft des Gebiets um die Schebaa- Farmen präsentieren soll.

2. Die EU sollte ihre Vorstellungen für die Freilassung der libanesischen Gefangenen in Israel formulieren. Ein Punkt, der in der Sicherheitsratsentschließung nach der Forderung nach einer bedingungslosen Freilassung der israelischen Soldaten genannt wird. Die Instabilität in der nahöstlichen Region hat ihre tiefere Wurzel in der ungelösten Palästinafrage. Eine Initiative zur unverzüglichen Wiederaufnahme der Verhandlungen ist notwendig, um diese Kernfrage zu beantworten. Die europäische Haltung dazu steht seit langem fest. Sie wird bestimmt durch die Beschlüsse des Europäischen Rates von Venedig Anfang der 80er Jahre, durch die Entschließungen der UN und durch die im Rahmen des sogenannten Nahost-Quartetts entwickelten Vorstellungen.

Im Gazastreifen wird weiter geschossen, täglich verlieren Menschen ihr Leben – das wirkt auch in den Libanon und in die anderen arabischen Staaten. Die Bemühungen des palästinensischen Präsidenten um eine Kooperation zwischen den Wahlsiegern der international anerkannten Wahlen und der PLO-Opposition schaffen einen relevanten Verhandlungspartner für eine dauerhafte Friedensregelung. Was Syrien angeht, so hat Außenminister Steinmeier wiederholt zu Recht darauf hingewiesen, dass seine Mitwirkung an einer dauerhaften Friedensregelung unverzichtbar ist. Das wird auch eine abschließende Entscheidung über die Golanhöhen notwendig machen. Die Lage ist ernst genug. Die Verärgerung über die Rede des syrischen Präsidenten Assad darf nicht auf Dauer die Verhandlungen mit Syrien versperren.

Die Bundeskanzlerin und der Außenminister haben aus guten Gründen in jüngster Zeit immer wieder die politischen Aspekte und die ungelösten Fragen im Nahen Osten erwähnt und vor allem die ungelöste Palästinenserfrage. Das deutsche Verhältnis zu allen Beteiligten im Nahen Osten befähigt die Bundesregierung, die Initiative zu ergreifen und im Rahmen der EU die notwendigen Schritte einzuleiten. Breite Unterstützung sollte die Tatsache finden, dass der Bundesaußenminister die seit langem von der FDP erhobene Forderung nach einer OSZE für den Nahen Osten erneut ins Gespräch gebracht hat. Die Staaten des Nahen Ostens können nur gemeinsam Frieden finden, das verlangt das Zusammenwirken der verständigungsbereiten Kräfte auf allen Seiten. Die besondere Verantwortung, die Deutschland aus historischen und moralischen Gründen für das Existenzrecht Israels, für seine Sicherheit und seine Zukunft trägt, und zu der sich alle Bundesregierungen stets bekannt haben, verlangt gerade von Deutschland ein aktives Bemühen um eine umfassende Friedensregelung.

Europa ist in besonderer Weise gefordert. Europa und der Nahe Osten sind Nachbarregionen. Das Mittelmeer trennt nicht, sondern es verbindet. Europa ist aber auch gefordert, weil die erkennbare Zurückhaltung wichtiger ständiger Mitglieder des Sicherheitsrates sowohl bei der Lösung der Palästinenserfrage, wie aber auch bei der Bereitstellung von Soldaten für die Friedenstruppe für den Libanon kein Vakuum entstehen lassen darf.

Der Autor war von 1974 bis 1992 deutscher Außenminister.

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