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Meinung: Ein Fall für die Eheberatung

Nach Bushs Sieg: Der Westen kann sich keine vier Jahre Lähmung leisten

Wenn Partner sich entzweien, kommt irgendwann dieser Moment der Lähmung: Alles ist gesagt, die Argumente sind ausgetauscht, man ist seelisch erschöpft und doch nicht bereit, dem anderen die Hand zu reichen. So ähnlich geht es jetzt in den transatlantischen Beziehungen zu. Die Bush-Regierung und die Kriegskritiker in Europa haben sich eingerichtet in ihren argumentativen Wagenburgen. Und wenn George W. Bush jetzt noch einmal vier Jahre regiert, wird sich daran wohl nicht viel ändern.

In der US-Presse wurde in den vergangenen Wochen über eine transatlantische Initiative Bushs nach den Wahlen spekuliert. Ob das mehr war als ein gezielt gestreutes Wahlkampfgerücht, wird man sehen. Aber selbst wenn Bush Ronald Reagan nacheifert und in seiner zweiten Amtszeit weniger Selbstgerechtigkeit und mehr Teamgeist an den Tag legt, wäre der Effekt einer solchen Initiative doch sehr zweifelhaft. Denn wie beim oben genannten Paar ist die Lähmung längst eingetreten.

Das persönliche Verhältnis Bushs zu Gerhard Schröder und Jacques Chirac bleibt zerrüttet. Die Entfremdung gegenüber weiten Teilen der europäischen Öffentlichkeit hat inzwischen solche Formen angenommen, dass man in Europa selbst dann nicht zuhört, wenn Bush gute Argumente hat. In den Worten des New-York-Times-Kolumnisten Thomas Friedman: „Das Bush-Team hat sich selbst so radioaktiv verseucht, dass es im Dunkeln leuchtet.“

Das ist mindestens so sehr ein psychologisches wie ein politisches Problem. Deshalb wird es Bush und dem alten Europa schwer fallen, einen Neuanfang miteinander zu wagen. Die Problemstaaten dieser Welt werden aber nicht höflich darauf warten, dass in der transatlantischen Hütte der Haussegen wieder gerade hängt. Im Gegenteil, Iran oder Nordkorea werden versuchen, sich die Spaltung des Westens zunutze zu machen.

Und das ist das Bedrohliche an der Verfestigung der Wahrnehmung auf beiden Seiten des Atlantiks. Leicht kann man sich ausmalen, wie zum Beispiel eine Debatte um Iran im UN-Sicherheitsrat verlaufen könnte: als Déjà-vu des Irakstreits. Irgendwann werden die Europäer mehr Angst haben vor einer US-Militäraktion gegen Iran als vor der Bombe in den Händen der Mullahs. Und viele Amerikaner, beileibe nicht nur Republikaner, werden sich dann bestätigt sehen in ihrer Sicht: Den Europäern gehe es mehr um die Eindämmung Amerikas als um die Eindämmung von Schurkenstaaten.

Gerät die Iran-Frage einmal in diese durch den Irak vorgeprägte Bahnen, wird es schwer, genau hinzusehen. Und zu differenzieren. Denn selbst den Bush-Leuten ist die Lust an Eroberungen am Golf längst vergangen. Es werden allenfalls gezielte Militärschläge gegen Irans Nuklearanlagen als letzter Ausweg diskutiert. Und Europa ist durchaus zu härteren Sanktionen gegen Teheran bereit, als es das Bild von den „Weichlingen“ auf dem alten Kontinent vermuten lässt.

Das Beispiel Teheran kann man auf viele andere Probleme übertragen, auch auf den von der Bush-Regierung so sträflich vernachlässigten Nahostkonflikt. Ein transatlantisches Bündnis im Standby-Modus kann sich die Welt angesichts der globalen Herausforderungen jedenfalls nicht leisten.

Bush wird vieles tun müssen, damit wenigstens Europas führende Politiker wieder Vertrauen gewinnen in die einzige Supermacht. Aber Europa sollte auch seine naiv anmutenden Ambitionen überdenken, als politisches Gegengewicht zu den USA zu agieren. Solange das Gewaltmonopol der UN eine gut gemeinte Fiktion bleibt, braucht die Welt eine Ordnungsmacht. Es liegt im natürlichen Interesse aller Demokratien, dass Amerika diese Rolle übernimmt und nicht etwa Putins autokratisches Russland oder das diktatorische China. Und im Interesse der USA liegt es, bei dieser kostspieligen Rolle von möglichst vielen Staaten auf der Welt unterstützt zu werden. Dazu reicht aber die Macht militärischer Fakten nicht aus. Die Partner wollen Argumente hören, nicht Angstmache; sie wollen überzeugt, nicht überwältigt werden.

Eine große Liebe wird das nicht mehr zwischen Bush und Europa. Aber wie das so ist unter entfremdeten Partnern: Man hat ein Kind gezeugt oder ein Haus gebaut – das verstärkt den Druck, es noch einmal miteinander zu versuchen. Das westliche Bündnis ist also ein Fall für die Eheberatung. Denn, mal ehrlich, wer will schon mit Russland oder China fremdgehen?

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