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Meinung: Ein großer Teil vom Ganzen

Die Ost-Sozialdemokraten fordern mehr Ministerposten im künftigen Kabinett. Zu Recht – doch es fehlt an Personal

Ein kurzer Blick auf die Zahlen – und die Ostdeutschen haben wieder einen Grund zum Jammern. Diesmal aber einen echten. Die Grünen werden im neuen Deutschen Bundestag mit 55 Abgeordneten vertreten sein – die Sozialdemokraten aus Ostdeutschland auch. Die Grünen haben bereits drei Ministerposten sicher und kämpfen gerade um ein viertes Ministerium. Die Ost-SPDler haben nach dem Abgang von Christine Bergmann aus dem Familienministerium keine ständige Vertretung in der Regierung. Einen Minister werden sie am heutigen Dienstag, da die Koalitionäre über Struktur und Personal entscheiden, wohl noch bekommen. Aber voraussichtlich keinen Superminister, zuständig für Bau, Verkehr und Aufbau Ost, sondern einen abgespeckten Posten ohne Verkehr. Und noch ein Vergleich. In den fünf neuen Bundesländern leben 17 Millionen Menschen, etwas mehr als in Nordrhein-Westfalen. Aus NRW aber kommen zwei Minister, ein Superminister und ein SPD-Fraktionschef. Das alles sei ungerecht, klagen die Stimmen des Ostens zu Recht.

Aber sie klagen anders als sonst, selbstbewusster und konstruktiver. Längst haben die prominenten Vertreter der Ost-SPD das Ende der Bescheidenheit ausgerufen. Sie haben gelernt aus der Zaghaftigkeit, ja Weinerlichkeit der Vergangenheit, als man als Ostler gern mit warmen Worten aber ungern mit mehr Einfluss bedacht wurde. Ein paar freundliche Sätze in den Programmen reichen dem Osten nicht mehr – das sagt beispielhaft Matthias Platzeck. Die Ostgenossen haben den Sinn von Symbolik erkannt. Sie haben verstanden, dass die schlausten Beschlüsse nicht umgesetzt werden, solange es für die eigenen Leute vor den entscheidenden Machtzirkeln heißt: „Wir müssen leider draußen bleiben!“ Spätestens seit dem Ost-Parteitag der SPD haben die Genossen östlich der Elbe ein neues Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelt, das sie jetzt machtpolitisch nutzen wollen. Zum ersten Mal klingen die Forderungen aus dem Osten nach größerer Repräsentanz nicht mehr wie brave Bettelrufe.

Dabei ist dem Kanzler wohl bewusst, dass er den Kandidaten und den Wählern aus dem Osten seinen Sieg verdankt. Trotz aller anderen Verpflichtungen ist Schröder durchaus gewillt, dies den neuen Freunden zurückzuzahlen. Aber wie?

Bei seinen Ansprüchen hat der Osten ein Problem mit dem eigenen Personal. Es gibt einfach keine Ost-Politiker der SPD, an denen der Kanzler allein wegen deren Kompetenz, Charisma und Erfahrung auf gar keinen Fall vorbei käme. Ein gewisser Manfred Püchel aus Sachsen-Anhalt oder auch Brandenburgs Bau- und Verkehrsminister Hartmut Meyer hätten in vielen Westregionen gerade einmal das Format zum Kreistagsvorsitzenden.

Andere wie der Leipziger Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee oder Thüringens SPD-Chef Christoph Matschie sind sicher hoffnungsvolle Nachwuchskräfte – zum Bundesminister qualifiziert sie das noch nicht. Und die einzigen echten Spitzenleute, Manfred Stolpe und Matthias Platzeck, können oder wollen nicht ins Kabinett. Stolpe ist auch deshalb als Brandenburgischer Ministerpräsident aus dem Amt geschieden, weil er langsam seinen Abschied nehmen will aus der Politik. Sein Nachfolger Platzeck mag zwar irgendwann sogar zum Kanzler taugen – hat aber gerade erst in Potsdam die Macht übernommen.

Also müssen die Ostgenossen in der SPD bei den Personalverhandlungen weiter die Proporz- und nicht die Kompetenzkarte spielen. Aber auch das macht Sinn. Vor allem, wenn die SPD tatsächlich die historische Chance nutzen und vom Niedergang der PDS profitieren will. Wenn sie sowohl deren Wähler als auch deren Funktionäre für sich gewinnen möchte. Die SPD muss beweisen, dass sie der kompetentere Anwalt für den Osten ist, weil sie keine regionale Interessenpolitik, dafür aber eine effektive Politik für das ganze Land verfolgt. Die Sozialdemokraten müssen die Ostdeutschen davon überzeugen, dass ihre Probleme gehört werden und sie nicht „Bürger zweiter Klasse“ sind. Das alles kann – und wird – nicht funktionieren, solange die so genannte Chefsache Ost auf den Schultern des stillen Ostbeauftragte Schwanitz verkümmert.

Markus Feldenkirchen

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