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Meinung: Eine Wahl sucht ihre Folgen Von Christoph von Marschall

Ein Papiertiger sei das Europaparlament? Das Wort hat die Wahlsieger heiß gemacht.

Ein Papiertiger sei das Europaparlament? Das Wort hat die Wahlsieger heiß gemacht. Die Konservativen zeigen ihre Zähne, wollen einen der Ihren als Kommissionspräsidenten sehen, nicht Belgiens liberalen Premier Guy Verhofstadt, der beim EUGipfel in zwei Tagen als Favorit der Staats- und Regierungschefs gilt. CDU/CSU fordern zudem den Posten des deutschen EU-Kommissars. In der Tat: Kann ein so klares Wahlergebnis folgenlos fürs Personal bleiben?

Die EU ist ein Zwitter aus „national“ und „europäisch“. Die wichtigsten Entscheidungen sind dem Rat der nationalen Regierungschefs vorbehalten; sie schließen die Verträge, nominieren den Kommissionspräsidenten, entsenden „ihren“ Kommissar nach Brüssel. Erst neuerdings ertrotzen sich die „europäischen“ Institutionen, Parlament und Kommission, mehr Einfluss. Das Parlament muss den Kommissionspräsidenten bestätigen; der legt die Ressortverteilung fest, jeder einzelne Kommissar muss sich dann wieder dem Parlament stellen. Das ist der Trumpf der Abgeordneten – sofern sie einig sind. Doch auch die Abgeordneten haben mehrere Interessen, wollen das Parlament stärken, aber auch ihr Land gut vertreten wissen – und schulden ihrer Partei Loyalität.

Die Kommission ist ein Gesamtkunstwerk, vieles muss zwischen 25 EU-Staaten ausgeglichen werden: West und Ost, rechts und links, Mann und Frau, große und kleine Staaten, arme und reiche. Der Kommissionspräsident jedoch ist herausgehoben, bei seiner Nominierung lässt sich eine so eindeutige Wahl nicht ignorieren. Das SPD-Debakel ist jedoch kein zwingender Grund für Deutschland, auf den einflussreichen und erfahrenen Günter Verheugen als Kommissar zu verzichten. Er hat den Rückhalt, um ein Schlüsselressort wie Wettbewerb oder Industriepolitik zu beanspruchen – was gut für unser Land wäre. Demut kann die SPD anderswo zeigen. Ihr Spitzenkandidat Schulz hat keinen Anlass mehr, den Fraktionsvorsitz der europäischen Sozialdemokraten im Parlament anzustreben. Der steht den Genossen Wahlsiegern zu, aus Schweden oder Spanien.

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