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Meinung: Endlich eine Pille für alle

Bush ändert seine Aids-Politik: eine Chance für die Armen

Alexander S. Kekulé Für Aids existiert immer noch keine Impfung und keine Heilung. Trotzdem gibt es ein Mittel gegen das Elend, das durch die Immunschwäche verbreitet wird: Die „Hochaktive antiretrovirale Therapie“ (Haart) eliminiert zwar nicht das Virus, aber unterdrückt immerhin die Symptome der Krankheit für Jahre, vielleicht Jahrzehnte. Haart mildert das einstige Todesurteil „HIV-positiv“ in lebenslängliche Pilleneinnahme ab – in den reichen Ländern.

In den armen Teilen der Erde, wo über 90 Prozent der Infizierten leben, vollstreckt der Aids-Erreger HIV unerbittlich weiter: Zwar forderte der Ökonom Jeffrey Sachs (und der Autor dieser Zeilen) bereits vor Jahren, Haart auch in den Entwicklungsländern einzusetzen und durch einen globalen Fonds zu finanzieren. Im Juni 2001 wurde der Fonds schließlich von den UN ins Leben gerufen. Doch einflussreiche Wirtschaftsexperten und Virologen hatten Bedenken gegen das ehrgeizige Projekt: Haart sei nur mit aufwendiger medizinischer Infrastruktur durchzuführen, insbesondere in Afrika seien die Patienten für die komplizierte Einnahme unzähliger Tabletten zu unzuverlässig. Die benötigten fünf Milliarden Dollar pro Jahr seien ohnehin nicht finanzierbar. Die konservative US-Regierung schließlich wollte in Afrika, Südostasien und der Karibik lieber für Enthaltsamkeit werben als Kondome und Pillen verteilen.

Die missionarische Blockadehaltung wurde lange von der Pharmaindustrie unterstützt, weil sie Nachahmer fürchtet, die ohne Lizenz herstellen, was die Dritte Welt dringend benötigt: Billige Kombinationspräparate mit den drei für Haart benötigten Aids-Medikamenten in einer Tablette. Die US-Behörden verweigerten diese einfach einzunehmenden 3-in-1-Kombinationen, etwa von der indischen Firma Cipla, bisher die Zulassung – angeblich, weil die fixe Kombination der Mittel medizinisch höchst bedenklich sei. Das galt jedoch nur so lange, wie es ins politische Konzept passte. Das heißt: bis letzten Sonntagnachmittag, als die US-Regierung überraschend erklärte, sie werde ab sofort die Kombinationspräparate in Entwicklungsländern zulassen und auch bezahlen. Die großen Pharmafirmen, die offenbar vorab unterrichtet waren, kündigten fast zeitgleich an, demnächst billige 3-in-1-Kombinationen herzustellen. Der Kurswechsel kommt nicht von ungefähr: Um die Weigerung der USA zu umgehen, hatte die Weltgesundheitsbehörde (WHO) die Produkte von Cipla in einem eigenen Zulassungsverfahren bereits genehmigt – die großen Pharmafirmen hätten um ein Haar zusehen müssen, wie die „Lizenzpiraten“ ihnen einen Markt von rund 35 Millionen HIV-Infizierten wegschnappen.

Zugleich vermeidet Bush eine weitere Anprangerung beim Aids-Gipfel der WHO, der am Montag in Genf beginnt. Die WHO und der globale Aidsfonds haben damit einen wichtigen Sieg errungen. Pilotprojekte in Uganda, Elfenbeinküste, Senegal und Thailand haben inzwischen bewiesen, dass Haart auch in Entwicklungsländern erfolgreich eingesetzt werden kann – wenn billige Kombinationsmittel verfügbar sind. Bis zum Jahr 2005 soll die Hälfte der weltweit sechs Millionen Aidskranken, die nach Schätzung der WHO sofortige Hilfe benötigen, mit Haart behandelt werden. Gelingt der Plan, kam die Begnadigung aus Washington für drei Millionen zum Tode Verurteilte gerade noch rechtzeitig.

Der Autor ist Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie in Halle. Heute spricht er in der FU zu „Aids – die Tragödie des afrikanischen Kontinents“ (18 Uhr, Habelschwerdter Allee 45, Hörsaal 2).

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