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Meinung: Entschuldjen Se, junge Frau

Schlechte Journalisten erkennt man daran, dass sie den Taxifahrer, der sie zum Hotel gebracht hat, zitieren, um human touch in den Artikel zu bringen. Zur Ehrenrettung dieses Prinzips möchte ich sagen: Es gibt keine besseren Führer durch die Windungen der Berliner Seele als Taxifahrer.

Schlechte Journalisten erkennt man daran, dass sie den Taxifahrer, der sie zum Hotel gebracht hat, zitieren, um human touch in den Artikel zu bringen. Zur Ehrenrettung dieses Prinzips möchte ich sagen: Es gibt keine besseren Führer durch die Windungen der Berliner Seele als Taxifahrer. Letzte Woche brachte mich ein Alt-68er zum Auswärtigen Amt. Drei-Tage-Bart, schmutziger Parka, Zigarettenkippen im Aschenbecher, aufgeschlagenes Buch auf dem Beifahrersitz. „Fragen Sie Joschka Fischer doch mal, warum niemand den Film sehen darf, wo er einen Taxifahrer spielt“, trug er mir auf. Er schien überzeugt, dass der Außenminister seine Herkunft verleugnet und eine ehrenvolle Seelenverwandtschaft schnöde verrät. Ein Typ zwischen Zen-Buddhismus und Anthroposophie, der sich alle Zeit nimmt, über den Sinn des Lebens zu philosophieren, während sie nervös auf die Uhr schauen aus Sorge, das Flugzeug zu verpassen.

Vorgestern Abend warf ich mich am Ende eines eisigen Arbeitstages in einen sandbeigen Mercedes. Abends, wenn ich müde bin, ist das eine Erholung, zehn Minuten nichts denken zu müssen. Da traf ich auf den zweiten Typ unter Berlins Taxifahrern: ein massiger Mann mit gerötetem Gesicht mit himmelblauer Strandmütze, der mich mit seiner Meinung bedrängt, nach der ich ihn gar nicht gefragt habe. „Klar bin ick Berlina und liebe meine Stadt. Was wäre aus uns geworden, wenn die Amis uns nicht gerettet hätten?“ Dann eine Hasstirade auf die undankbaren Sozis und eine Lobrede auf „den Jungen, der seine Sache in Bayern gut macht“. Ich brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass „der Junge“ 60 Jahre alt ist, silbriges Haar hat und Edmund Stoiber heißt. Auch in der Politik macht Liebe blind, dachte ich mir. Am Brandenburger Tor, unserem Ziel, geriet der Typ völlig aus der Bahn: Er verglich Doris Schröder-Köpfs Zähne mit denen der Quadriga-Pferde und erzählte einen derben Witz über Klaus Wowereits Homosexualität. „Entschuldjen Se, junge Frau, wenn ick so rede …“

Klar kenne ich auch den Pariser Taxifahrer mit Schäferhund, Zigarette und Sympathie für Le Pens Front National, der gegen Ausländer und Juden hetzt, sodass man sich die ganze Fahrt mit schlechtem Gewissen fragt, ob jetzt nicht Zivilcourage gefragt sei: ihn anhalten lassen mitten im nachmittäglichen Stau und empört die Tür zuschlagen. In London ist eine Taxifahrt ein körperlich anstrengendes Erlebnis. Bei jedem Bremsen wird man von einer Ecke in die andere geworfen. In Rom wagte ein Taxifahrer, mir seine Hand aufs Knie zu legen; wie in (West-)Deutschland üblich hatte ich mich vorne reingesetzt. Das hatte er für eine Einladung gehalten.

Die Einzigartigkeit Berliner Taxifahrer beruht auf ihrer unerschöpflichen Fähigkeit zu meckern. Ob 68er oder CSU-Anhänger: Die Lebensdevise, die sinnliche Lust ist – meckern. Siehe den Typ vorgestern Abend. Zehn Minuten Hölle. Beim Zahlen fahre ich ihn an, wie er ohne Ende Beleidigungen und Obszönitäten erzählen könne. Er dreht sich zu mir um, lüftet die Mütze und sagt mit warmherzigem Lächeln: „Nett sein kann jeder, meckern ist schwierig!“ Entwaffnet von so viel Charme steige ich aus und schließe gefühlvoll die Tür. Ich liebe sie, die Berliner.

Die Autorin schreibt für das französische Magazin „Le Point". Foto: privat

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