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Meinung: Entspannung tut Not

Von Jacob Heilbrunn Als Joschka Fischer letzte Woche zu Besuch war, radelte ich zur Botschaft. Es war ein wunderschöner Frühlingstag und wenn man nicht zur deutschen Botschaft radelt, wenn Fischer zu Gast ist, wohin sollte man dann mit dem Fahrrad fahren?

Von Jacob Heilbrunn

Als Joschka Fischer letzte Woche zu Besuch war, radelte ich zur Botschaft. Es war ein wunderschöner Frühlingstag und wenn man nicht zur deutschen Botschaft radelt, wenn Fischer zu Gast ist, wohin sollte man dann mit dem Fahrrad fahren? Leider musste ich als ich ankam feststellen, dass zwar Fischers Dienstwagen da stand, aber kein Fahrradständer weit und breit zu sehen war. Augenscheinlich brausen alle Mitarbeiter der Botschaft nur mit Autos herum. Mir wurde befohlen, mein Fahrrad möglichst unauffällig hinter einer Mauer zu verstecken.

Das mag nur ein kleiner, unbedeutender Fall gewesen sein, aber es steckt doch alles in den Details. Erlauben Sie mir zu behaupten, dass die Suche nach einem Fahrradständer, kombiniert mit Fischer in einem Dreiteiler, das übertrifft, was man an Neuem verkraften kann. Es ist symptomatisch für den Verfall vieler Dinge, die uns vertraut waren. Wir leben in einer revolutionären Zeit, die sich fast von Tag zu Tag beschleunigt und in der die Entwicklungen uns überfordern, von den Staatsmännern ganz zu schweigen. Aber in gerade so einer Ära versucht man, auf alte Gewissheiten zurückzugreifen. Das sieht man am deutlichsten in der Welle der antisemitischen Attentate in Europa – und an der Reaktion der Amerikaner darauf.

Als Fischer danach gefragt wurde sah man, dass sein Körper ganz steif wurde. Vehement lehnte er den Gedanken ab, es gäbe eine ernste Gefahr in Europa. Er hätte sein ganzes Leben gewidmet, um eine Neuauflage des Antisemitismus zu verhindern. Es war jedoch interessant, dass Fischer dabei wie ein CDU-Politiker klang, die seit Jahrzehnten den Gedanken ablehnen, eine Gefahr könne von Rechts kommen. Fischer bleibt gedanklich dem liberalen Europa verhaftet, obwohl der alte Kontinent in vieler Hinsicht seine blutige Seite zeigt – sei es mit der Ermordung Pim Fortuyns oder dem überrraschenden Erfolg Jean-Marie Le Pens. Die Schwäche der herrschenden politischen Klasse Europas ist es, sei sie konservativ oder sozialistisch, dass sie nicht wahrhaben will, dass sich ein starker Gegenwind manifestiert.

Die Kehrseite von Fischers Optimismus stellen konservative Kolumnisten in den USA dar, etwa Charles Krauthammer und George Will in der Washington Post. In diesem Lager stützt man sich auch auf bequemes Denken. Etwa dass Europa, wie Krauthammer im Fernsehen sagte, „den schlimmsten Ausbruch antisemitischer Gewalt seit der Reichskristallnacht erlebt." Das ist deshalb bequem, weil maßlos übertrieben wird, damit man den Israel-Kritikern aus Europa nicht mit Argumenten begegnen muss. Keine Frage: Die Attentate sind verwerflich und nicht alle Kritiker Israels haben reine Motive. Aber man kann sie nicht allesamt einfach als antisemitisch abstempeln. Deshalb fragte EU-Kommissar Chris Patten diese Woche, „verurteilt einen jegliche Kritik an der Politik und Philosophie des Likud zum Antisemiten?"

Statt sich in diese vertrackten alten Debatten zu vertiefen wünschte ich mir, die Journalisten und Politiker würden sich ein bisschen ausruhen und entspannen. Beim Fahrrad fahren zum Beispiel.

Der Autor ist Leitartikler der „Los Angeles Times“. Foto: privat

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