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Meinung: Ersatzstrumpfhosen auf den Fensterbrettern

Von Pascale Hugues, Le Point

Was treibt einen Außenminister dazu, sein Arbeitszimmer – also gewissermaßen den Salon der deutschen Diplomatie – in eine italienische Küche zu verwandeln, indem er den Fußboden mit Terracotta überziehen lässt? Was geht im Kopf eines Kanzlers a. D. vor, wenn er den Fischen zusieht, die das Aquarium neben seinem Schreibtisch bewohnen? Warum muss ein amtierender Kanzler permanent zwei gerahmte Fotos vor der Nase haben: eins von seinem Vater in Wehrmachtsuniform, und eins von seiner Frau im Twinset? Warum stellt ein Abgeordneter – dessen Namen ich hier nicht nenne und der sich inzwischen hat scheiden lassen – in seinem Bücherregal jahrelang ein Foto seiner halb entblößten Frau zur Schau, eingehüllt in ein leichtes Chiffontuch, die Haare vom Wind zerzaust, mit karamellfarbener Haut – und angelehnt an das Grundgesetz? Und warum lassen all diese Sekretärinnen, diese guten, aber unzüchtigen Feen, auf ihren Fensterbrettern Papiertaschentücher, Aspirinschachteln, Deoroller, Tampons und Ersatzstrumpfhosen herumliegen?

Zum Teufel mit jener Einheit des Dekors, die uns die Designer vorschreiben wollen! Das Büro ist ein Territorium, das neu erobert werden will! Es gilt, die eisige Anonymität dieses neutralen Orts zu erwärmen – schließlich verbringt man dort die klarsten Momente seiner Lebenszeit. Trautes Heim, Glück allein! Man muss es sich gemütlich machen, wie zu Hause. Mit Teddybären, Kakteen, Kinderzeichnungen, Postkarten und bestickten Kissen. Wie oft fühle ich mich bei Interviews hin und hergerissen zwischen der Verpflichtung, mir trockene Monologe über die europäische Integration anzuhören, und dem brennenden Verlangen, indiskret jene aussagekräftigen Eindringlinge zu untersuchen, mit denen die Mächtigen dieser Welt ihre Büros dekorieren. Wie oft habe ich in mir die Seele eines Voyeurs entdeckt! Und insgeheim meine Schlüsse gezogen: Da gibt es die Meister des Understatements, die ihre Diplome im Bad aufhängen, als seien ihnen solche Eitelkeiten vollkommen gleichgültig. Es gibt die vorgeblichen Bildungsbürger, die auf Kaffeetischen demonstrativ nachlässig luxuriöse Kunstzeitschriften herumliegen lassen. Und dann gibt es noch die Alpinisten der gesellschaftlichen Rangordnung, die stolz Fotos ihrer Gipfelerlebnisse zur Schau stellen: Das bin ich, wie ich Jacques Chirac die Hand schüttele, das bin ich, wie ich an der Seite von Michail Gorbatschow grinse, das bin ich, wie ich im Kielwasser von Helmut Kohl umherstolziere. Und die Tasse der Sekretärin, die am Rande des Waschbeckens zart den Kaffeebecher streift, in den der Name des Chefs eingraviert ist, spricht Bände über all die phantasierten Liebschaften des monogamen Bürolebens.

Der arme Axel Schultes! Oft denke ich voller Mitleid an den Architekten des Kanzleramts. Was hatte er nicht für große Pläne: klare Linien, nüchterne Achsen, Innenhöfe, so fließend und transparent wie japanische Gärten. Und was ist daraus geworden? Hinter den großen Bürofenstern ist ein Dschungel aus Kautschukpflanzen gewachsen und hat seine minimalistischen Bestrebungen zunichte gemacht. Als müsse jeder persönliche Referent, jede Büroassistentin den entfesselten Urwald Patagoniens neu erschaffen, um dem Gefängnis der monotonen Spreeufer zu entkommen.

Die Parallelwelt der Büros birgt keine Geheimnisse mehr für mich. Ich kenne das geheime Verlangen der Ghostwriter, eines Tages in vorderster Reihe zu brillieren. Ich kenne die Monatszyklen der Bundestagssekretärinnen, die Konfektionsgrößen mehrerer Abgeordnetengattinnen und die Leidenschaft bestimmter Minister für Rooibostee und belgische Pralinen. Ich wittere fetischistische Neigungen, mit Arroganz getarnte Unsicherheiten, sentimentale Tendenzen, ungestillte Sehnsüchte, kleine sympathische Schwächen, Träume von einer anderen, einer wilderen Welt … Entschuldigung, wie war das jetzt mit der europäischen Integration?

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