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Meinung: Erst Demokratie, dann Frieden

Von Christoph von Marschall Fakten setzen Politik. Aber in den internationalen Beziehungen ist es oft mehr noch der Ton, der die Musik macht.

Von Christoph von Marschall

Fakten setzen Politik. Aber in den internationalen Beziehungen ist es oft mehr noch der Ton, der die Musik macht. Dieser hier ist atemberaubend: Benjamin Netanjahu, Israels Ex-Premier und vielleicht der nächste Regierungschef, mag sich eine Lösung des Nahost-Konflikts nur als militärische Niederlage der Palästinenser vorstellen. Die sollen zwar einen Staat bekommen, aber keinen, der das Wort „souverän“ verdient. Es soll ein Staat ohne Hoheitsrechte, ohne Armee, ohne Bündnisfreiheit sein. Solche Fragen soll nach Netanjahus Vorstellungen Israel für die Palästinenser entscheiden.

In dem Stil geht es weiter, wenn der Mann, der sich im Likud als noch härtere Alternative zu Ministerpräsident Scharon profiliert, über Details einer Lösung spricht. Alle internationalen Friedenspläne verlangen die Räumung der Siedlungen und eine Teilung Jerusalems, bzw. die gemeinsame Kontrolle über die Stadt. Netanjahu reklamiert das ganze Jerusalem. Den Rückzug aus Siedlungen nennt er „theoretische Fragen“.

Die Musik, die dieser Ton macht, klingt nach Marschmusik. Nach Triumphmarsch. Man kann verstehen, dass Israel Garantien haben muss, die seine Zerstörung durch Nachbarstaaten verhindern. Doch eine Sicherheit, die nur darauf setzt, dem Nachbarn die technischen Mittel dazu vorzuenthalten, ist prekär. Strukturelle Sicherheit entsteht, wenn der Nachbar kein Interesse mehr an der Zerstörung hat, sondern Koexistenz als Vorteil begreifen kann. Zudem ist es das Wesen jeden Kompromisses, dass die Gegenüber, die ihn schließen, sich als Partner begreifen – als vielleicht feindliche Partner, die aber jedenfalls beide berechtigte Interessen haben. Netanjahu will nicht Kompromisse, er verlangt die Unterwerfung, die Demütigung. Frieden werde es erst nach einem totalen Sieg über die Palästinenser und über jene anderen arabischen Staaten geben, die Israel feindlich gegenüberstehen.

Das macht seine Äußerungen so schwer erträglich. Und wird viele davon abhalten, sich mit den bedenkenswerten Denkanstößen, die er auch gegeben hat, ernsthaft auseinander zu setzen. Viel wichtiger als das von ihm betonte Begriffspaar Sieg und Frieden ist der andere Zusammenhang, auf den er hingewiesen hat: Demokratie und Friedfertigkeit.

Niederlage? Welche Niederlage?

Es stimmt ja nicht, dass Niederlagen die Vorbedingung für Friedensbereitschaft sind. Das sieht nur bei Deutschland 1945 oder Osteuropa nach der (unblutigen) Niederlage im Wettlauf mit dem Westen so aus. Ob Amerika, Großbritannien oder Frankreich: Weder ihre Bereitschaft zur friedlichen Koexistenz mit den Nachbarn noch ihre Demokratie ist das Produkt bitterer Niederlagen. Im Gegenteil, sie haben beides immer wieder siegreich gegen Bedrohungen verteidigt.

In Nachkriegsdeutschland war „Re-Education“, war Demokratisierung die entscheidende Basis für Friedfertigkeit. Der Schock der Niederlage hat das Umdenken befördert, hätte allein aber niemals ausgereicht.

Die Demokratie als Staatsform ist die beste Garantie für unblutige Konfliktlösungen. Demokratien führen keine Kriege gegeneinander. Ihre Machtstrukturen, ihre Entscheidungsfindungen stellen sicher, dass militärische Gewalt nur in sehr seltenen Fällen als letztes Mittel zur Anwendung kommt.

Die arabischen Staaten sind allesamt keine Demokratien, auch die palästinensische Autonomiebehörde ist nicht demokratisch – und Arafat kein demokratischer Führer, auch wenn er einmal mehrheitlich gewählt wurde. Er herrscht autoritär. In diesen Tagen kann man beobachten, wie er eine rasche demokratische Wahl zu verhindern sucht. Nun wird oft argumentiert, Demokratisierung könne man arabischen Staaten erst abfordern, wenn der Konflikt mit Israel gelöst sei. Das hieße: Demokratie wird als Schwäche begriffen, die man sich erst leisten kann, wenn man keinen äußeren Feind hat.

Es ist gerade umgekehrt: In allen Gebieten, in denen Kriege tobten, genügt es nicht, Nahrung zu liefern, Häuser und Verkehrswege aufzubauen und Finanzhilfe für die neuen Regierungen zu leisten, um den Frieden zu sichern. Der hält erst, wenn die Demokratisierung Erfolg hat – und bleibt prekär, solange das nicht gelingt: vom Balkan bis Afghanistan. Erst Demokratie, dann Frieden.

Das gilt auch für Nahost. Demokratie in Palästina, Demokratie in der arabischen Welt wäre die beste Sicherheitsgarantie für Israel – viel mehr wert als alle Verteidigungsanstrengungen. Demokratisierung ist der Schlüssel zur Lösung des Nahost-Konflikts. Sie müsste Priorität in den Friedensplänen erhalten. Der Westen hat einiges nachzuholen.

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