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Meinung: Erst der Aufschwung, dann der Abzug Die US-Regierung darf

die Geduld im Irak nicht verlieren / Von Jacob Heilbrunn

Die beste Verteidigung, sagt der Amerikaner gern, ist ein guter Angriff. Wochenlang war die BushRegierung unter Beschuss wegen ihres Umgangs mit Geheimdienstmaterial – nun geht sie in die Offensive. Der Auftritt von Vizepräsident Dick Cheney am vergangenen Donnerstag vor dem American Enterprise Institute (AEI) zeigt, dass das Weiße Haus nun wieder seine Kritiker unter Beweisdruck setzen will. Die Botschaft ist deutlich: der Irakeinsatz sei keine Katastrophe, stattdessen würden die USA den Feind rasch besiegen und so Terroristen die Möglichkeit nehmen, im Irak oder anderswo neue Anschläge zu planen.

Es ist kein Zufall, dass Cheney beim AEI auftrat. Dort war vor zehn Jahren der Kriegsplan von Leuten wie Richard Perle ausgeheckt worden. Cheney wollte von befreundetem Boden aus die Angriffe auf die Zweifler und heimatlichen Heckenschützen starten.

Aber bis das Weiße Haus Saddam Hussein und Massenvernichtungswaffen präsentiert, sollte ihr endgültiger Angriffsplan offen für Revisionen bleiben. Die Regierung wird an der Heimatfront fast genauso unter Druck gesetzt wie im Irak. Die Führer der Demokraten, die mehrheitlich für den Krieg waren, blasen zur groß angelegten Revolte. Howard Dean, der ehemalige Gouverneur Vermonts, hat durch seine Wahlkampagne das demokratische Feld nach links verschoben. Präsidentschaftskandidaten wie John Kerry und Richard Gephardt versuchen sich gegenseitig zu übertreffen in ihrer Kritik an Bushs vermeintlicher Heuchelei und echten Lügen. Mit jedem ermordeten amerikanischen Soldaten sinken Bushs Umfragewerte.

Ist womöglich die einzig reale Bedrohung, die je vom Irak ausging, die Wiederwahl von George W. Bush? Keinesfalls. Natürlich wird weiterer Geheimdienstpfusch publik werden. Aber wie beim Angriff auf Bagdad selbst sind Vergleiche mit Vietnam auch jetzt abwegig. Die USA haben das Heft fest in der Hand. Der Tod der Saddam-Söhne sollte nicht unterschätzt werden. Nach Jahrzehnten des Terrors fürchtete die irakische Bevölkerung verständlicherweise die Rückkehr von Saddam und seinen Henkern. Wenn Hitler und seine Gefolgschaft im Juni 1945 noch am Leben und weite Teile des Landes von den alliierten Armeen nicht besetzt gewesen wären – die „Werwölfe“ hätten durchaus zu einem ernst zu nehmenden Problem werden können.

Indem sie die Top-Führung des alten Regime verhaften oder umbringen und ein umfassendes Wirtschaftsprogramm für das Land ins Leben rufen, sollten die Amerikaner in der Lage sein, den Ausbruch eines Guerillakrieges mit Tausenden von Opfern zu verhindern. Es ist aber unklar, ob die Regierung sich darauf einlassen will – oder ob sie sich nicht lieber rechtzeitig vor der Wahl 2004 aus dem Irak zurückzieht. Sie könnte eine instabile Regierung installieren, den Sieg verkünden, abhauen, und zuschauen, wie bald darauf die Bösewichter zurückkehren.

Im Gegensatz zum europäischen Argwohn ist die Regierung mit guten Vorsätzen in den Irak einmarschiert. Sie ist nicht so clever wie die Verschwörungstheoretiker glauben. Die Gefahr liegt nicht darin, dass die Amerikaner den Irak klein halten, sondern dass sie sich nicht ernsthaft genug dem Umbau des Landes verschreiben werden.

Der Autor ist Leitartikler der „Los Angeles Times“. Foto: privat

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