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Vietnamesen in Berlin: Erst Vertragsarbeiter, heute Ananas süß-sauer

Integration einmal anders: Über einen Versuch, die franko-vietnamesische Cuisine in Berlin wiederzubeleben.

Das ist die Geschichte eines Landes, das durch die Kriege des 20. Jahrhunderts zerschlagen und geteilt wurde und als Kampfgebiet der Supermächte herhalten musste. Ein Land, das sich selbst aus dem Dreck gezogen hat durch einfache harte Arbeit.

Ja, es geht um Vietnam. Ich habe eine Schwäche für Vietnam, seit ich Graham Greenes Roman „Der stille Amerikaner“ über die letzten Tage der französischen Kolonialherrschaft gelesen habe. Der Held der Geschichte ist Thomas Fowler, ein Korrespondent der „Times“, der sich in einem ständigen Kampf mit seiner weit entfernten Redaktion befindet. Auch in der Version, die der nervige Michael Caine im Film von 2002 gab, erschien mir Fowler sympathisch: zynisch, aber fähig zur Liebe.

Ich wollte deshalb schon immer nach Saigon, in das schmierige Hotel Continental, wo Fowler einst seine Artikel für die „Times“ schrieb, aber stattdessen kam Vietnam zu mir. Man kauft heute Blumen beim Vietnamesen und jede halbwegs interessante Straße in Berlin verfügt inzwischen über ein vietnamesisches Restaurant. In der Wilhelmstraße: das Heritage. In der Wilmersdorfer Straße: das Saigon Today. Wie merkwürdig es ist, bei Monsieur Voung in der Alten Schönhauser Straße zu essen, auf ein großes Foto von Dat Voung als Jugendlicher heraufzublicken und Gerichte vom Mekong-Delta zu bestellen! Als ich in der Schule war, verfolgten wir jede kleine Wendung des Krieges. Für mich bedeutet Mekong nicht Tofu und Ingwer, sondern die bedrohliche Effizienz der Vietcong, die Zerstörung von Ban Tre und der furchtbare Satz eines längst vergessenen amerikanischen Offiziers: „Manchmal muss man ein Dorf zerstören, um es zu retten.“ Ha!. Aber Monsieur Voungs Suppe, auch ein Mekong-Rezept, schmeckt großartig.

Die meisten etwas älteren Berliner wissen, wie die Vietnamesen die Stadt gekommen sind: Einige waren „Boat People“, die aus dem kommunistischen Staat geflohen waren. Andere waren Vertragsarbeiter in der DDR, die mithalfen, die Schulden ihres Landes bei der DDR abzutragen. Die zweite war vermutlich die im Europa der 80er Jahre am meisten ausgenutzte Gruppe. Diese Vietnamesen lebten in schäbigen Unterkünften, wurden von der DDR schlecht bezahlt und mussten einen Großteil davon bei ihrer Regierung abgeben. Von dem, was übrig blieb, schickten sie das meiste an ihre Familien. Nach der Wende blieben viele dieser Vertragsarbeiter, einige vertickten illegal Zigaretten aus Polen. Aber alle, schwarz oder legal, sparten ein bisschen Geld zusammen.

Aus diesem Kraftakt speist sich 20 Jahre nach der Wende Berlins Billiggastronomie. Nun rücken die Kinder, gewöhnlich fließend im Deutschen, nach. Ein erfolgreiches Integrationsmodell, könnte man sagen: Vor 20 Jahren wurden sie von der DDR ausgenutzt, vor 15 lebten sie in einer legalen Grauzone, heute zahlen ihre Kinder deutsche Steuern und erbringen in der Stadt eine nützliche Dienstleistung und stellen Urdeutsche an.

Hier das Problem: Die Vietnamesen beobachten den Markt so genau, dass sie ihre Speisekarten dem deutschen Geschmack angepasst haben. Im Heritage wurde mir ein Rindfleisch mit Ananas süß-sauer für 5,80 Euro angeboten. Nicht gerade das typisch asiatische Gericht, aber in der Wilhelmstraße offenbar sehr beliebt.

Die echte vietnamesische Küche ist durch den Gebrauch von saisonalem Gemüse und frischen Kräutern charakterisiert: Minze, Zitronengras, Ingwer. Berlinern, die nicht mehr als fünf Euro für ein Fleischgericht auszugeben bereit sind, wird Müll aufgetischt. Sie gehen mit Bauchschmerzen nach Hause und mit Wut im Bauch auf die Vietnamesen. Deshalb habe ich mit großer Freude eine neue vietnamesische Snackbar am Oranienplatz entdeckt: Das Babanbè („drei Freunde“) wurde von drei weißen Jungs aus Wilmersdorf ins Leben gerufen, die sich intensiv mit der vietnamesischen Küche beschäftigt haben. Greene wäre dort sicher gern hingegangen. Es ist Deutschlands erster Versuch, die franko-vietnamesische Cuisine wiederzubeleben.

Also: Drei deutsche Deutsche präsentieren in Berlin die französische Küche, die während der Kolonialzeit nach Indochina kam. Und die konkurriert nun auf dem Fast-Food-Markt der Hauptstadt nicht nur mit dem eingedeutschten vietnamesischen Essen, das von Deutsch-Vietnamesen gekocht wird, sondern auch mit Döner und Currywurst (Ruhe sie in Frieden!). Integration ist ein schwieriges Terrain, nicht wahr, Monsieur Sarrazin?

Aus dem Englischen übersetzt von Moritz Schuller.

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