zum Hauptinhalt

Meinung: Europas Kapital

Der G-20-Gipfel muss ein weltweites Regelwerk für den Finanzmarkt schaffen.

Der G-20-Gipfel in London ist der Ort, an dem es gilt, Ergebnisse zu erzielen, die zu einer Beendigung der gegenwärtigen Wirtschafts- und Finanzkrise beitragen und künftigen Krisen vorbeugen. Ich bin zuversichtlich, dass wir diese Ergebnisse zustande bringen.

Diese Krise ist die erste im Zeitalter der Globalisierung. Tatsächlich machen einige die Globalisierung für sie verantwortlich. Sie behaupten, nur eine „Entglobalisierung“ führe aus der Krise. Das mag auf den ersten Blick plausibel klingen, ist aber weit gefehlt. Der Weg aus der Krise führt nicht über eine „Entglobalisierung“. Protektionismus und wirtschaftlicher Nationalismus sind Scheinlösungen und schüren lediglich Armut und Konflikte, wie wir in den 30er Jahren erleben mussten. Die richtige Antwort lautet vielmehr, die Globalisierung neu zu gestalten.

Wir brauchen ein weltweites Regelwerk, um die Globalisierung zu meistern. Nur durch Zusammenarbeit über die Grenzen hinweg können wir das Potenzial der Märkte in den Dienst der Menschen stellen und globale Herausforderungen wie den Klimawandel, die Energiesicherheit und die Armut angehen. Diese Regeln müssen auf Werten und ethischen Grundsätzen beruhen. Sie müssen Freiheit, Verantwortung und Solidarität miteinander verbinden. Sie müssen bewirken, dass die Märkte harte Arbeit und Eigeninitiative belohnen, und nicht bloße Spekulation.

Die Europäische Union verfügt über einzigartige Voraussetzungen, um auf dem Weg zu einer auf Werte und Regeln gestützten Globalisierung eine Vorreiterrolle zu übernehmen. Keine andere Region der Welt verfügt über vergleichbare Erfahrungen bei der Vereinbarung und wirksamen Anwendung länderübergreifender Regeln. Unsere Trümpfe – vom Binnenmarkt bis hin zum Euro – waren für die seit Beginn der Krise unternommenen Stabilisierungsanstrengungen von unschätzbarem Wert und bieten die bestmögliche Grundlage für die konjunkturelle Erholung.

Die Europäische Union hat sich darauf verständigt, mit einer gemeinsamen Botschaft nach London zu gehen. Wir haben rasch und entschlossen gemeinsam gehandelt. Wir haben ein beeindruckendes Konjunkturprogramm auf die Beine gestellt: die Mitgliedstaaten und die EU selbst bringen zusammen über 400 Milliarden Euro auf. Wir haben unser Vorgehen zur Stabilisierung unserer Banken untereinander abgestimmt. Wir haben Mitgliedstaaten, die in eine Notlage geraten sind – Lettland, Ungarn und Rumänien – beigestanden. Wir haben ein umfassendes Konzept für effektivere, sicherere Finanzmärkte entwickelt.

Die Kommission hat Maßnahmen zur Verbesserung der Eigenkapitalanforderungen an Geldinstitute, der Einlagensicherung und der Regulierung von Kreditrating- Agenturen auf den Tisch gelegt. Wir haben vorgeschlagen, die grenzüberschreitende Beaufsichtigung wichtiger Finanzunternehmen zu verbessern und eine neue Einrichtung mit der Beobachtung der Risikoentwicklung auf den Finanzmärkten zu betrauen, die das Entstehen von Systemrisiken verhindern soll. Vorschläge betreffend Hedgefonds, Beteiligungsgesellschaften und Vergütungen von Führungskräften sollen in den kommenden Wochen folgen.

Darüber hinaus haben sich die Staats- und Regierungschefs der EU auf dem Frühjahrsgipfel in Brüssel bereits auf eine Mitwirkung an einer substanziellen Aufstockung der Mittel für den IWF zur Bekämpfung der Krise geeinigt. Die EU würde 75 Milliarden Euro beitragen. Zusätzlich werden wir den Höchstbetrag des EU-internen Zahlungsbilanzhilfeinstruments für nicht zur Euro-Zone gehörige Mitgliedstaaten auf 50 Milliarden Euro verdoppeln.

Wir werden auch weiterhin mit gutem Beispiel vorangehen. Wir werden unsere internationalen Partner anspornen. Wir werden hart dafür arbeiten, dass in allen vier wichtigen Bereichen eine Einigung zustande kommt:

Zum Ersten ein umfassender, abgestimmter und nachhaltiger Stimulus für die Konjunktur, um die Folgen für die Menschen zu begrenzen und der Realwirtschaft wieder Auftrieb zu geben.

Zum Zweiten die Wiederherstellung von Vertrauen und Zuversicht im Finanzsystem. Nicht zum Wohle der Banken, sondern zum Wohle der Unternehmer und Arbeitnehmer in der Realwirtschaft, die auf Kredite angewiesen sind. Wir müssen entsprechend unseren Vereinbarungen und dem Vorgehen der USA rasch Maßnahmen ergreifen, damit die Banken wieder Darlehen vergeben. Dazu müssen wir der Ungewissheit über das Ausmaß der Verluste der Banken ein Ende bereiten, indem wir ihre Bilanzen um die sogenannten wertgeminderten Vermögenswerte bereinigen. Gleichzeitig müssen wir die Aufsicht weltweit stärken und Schlupflöcher schließen – und das heißt auch: Schluss mit Steueroasen. Dazu ist eine umfassende Reform der internationalen Finanzinstitutionen erforderlich.

Zum Dritten müssen wir jeder Form des Protektionismus eine nachdrückliche Absage erteilen und den Welthandel öffnen, indem wir die Doha-Verhandlungen voranbringen.

Und zum Vierten eine gerechtere Welt: wir müssen mehr für die Entwicklungsländer tun und mehr Repräsentativität im IWF gewährleisten. Es geht nicht an, dass die Entwicklungsländer die Zeche zahlen für eine Krise, die in den entwickelten Ländern verursacht wurde. Sie benötigen zusätzliche Hilfe. Ein Vorschlag der EU in dieser Richtung ist das globale Instrument für Handelsfinanzierung. Wir brauchen die Mitwirkung der Entwicklungsländer, um die globalen Herausforderungen zu bewältigen. Ein Beispiel dafür ist der Klimawandel. Wir streben dieses Jahr auf der Klimakonferenz in Kopenhagen eine weltweite Verständigung an.

Bereits jetzt gehen unsere Überlegungen weltweit vielfach in die gleiche Richtung, insbesondere auch in den USA. Vieles von dem, was heute konsensfähig ist, hat seinen Ursprung in Europa und seinem ureigenen Wirtschaftsmodell. Wir können also im Vorfeld des G-20-Gipfels auf ein hohes Maß an Übereinstimmung bauen. Diese Übereinstimmung muss auf dem Gipfel zu konkreten Maßnahmen führen, um die Dinge wieder ins Lot zu bringen. Unsere Bürger sollen wissen, dass ihre Sorgen im Mittelpunkt unserer Gespräche und Entscheidungen stehen werden. Mir ist nur zu bewusst, dass viele Menschen um ihre Arbeitsplätze, ihre Hypotheken oder ihre Ersparnisse fürchten. Deswegen geht es mir jetzt vor allem darum, dass alles, was wir unternehmen, der Beschäftigung nützt. Es liegt an uns, die berechtigten Erwartungen der Menschen zu erfüllen und unseren guten Absichten in London gemeinsame Taten folgen zu lassen.

José Manuel Durão Barroso

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false