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Meinung: Festhalten am alten Kontinent

Europa (II): Die neue Verfassung des EU-Konvents ist nicht mutig genug

Giscard d’Estaing wird den Staats- und Regierungschefs in zwei Wochen bei ihrem Gipfel in Thessaloniki einen Verfassungsentwurf für Europa vorlegen. Seine persönliche Leistung liegt darin, die große Mehrheit der von nationalen Parlamenten, Regierungen, Europaparlament und Kommission entsandten 105 Konventsmitglieder hinter einem Vorschlag zu versammeln. Dass die Staats- und Regierungschefs den Vorschlag im Herbst ganz und gar ablehnen, ist nicht zu erwarten. Denn in diesem Entwurf für die künftige Machtverteilung in Europa gibt es keine eindeutigen Verlierer und Gewinner. Verlierer sind allerdings die, die sich die EU als handlungsfähiges Bündnis von weltpolitischer Bedeutung wünschen.

Giscard ist mit einem hohen Anspruch an Veränderung in die Verhandlungen gegangen und hat so vor allem Widerstand provoziert. Weniger die Konventsmitglieder als die Regierungen von Spanien, Großbritannien und Finnland beispielsweise und vor allem die Noch-Nicht-Mitglieder aus Mittel- und Osteuropa gingen auf die Barrikaden. Noch in dieser Woche dramatisierten 16 kleinere und mittlere Staaten die Situation massiv. Sie drohten öffentlich, sämtliche Vorschläge zu blockieren. Damit hatten sie Erfolg; ihre Drohung wirkte wie ein Katalysator. Giscard verlegte die Debatte vom Konventsplenum in Einzel- und Gruppengespräche. Die ehrgeizigeren Deutschen und Franzosen gaben nach und akzeptieren einen Minimalkonsens, der nichts weniger als die Lähmung der europäischen Politik für die nächsten sechs Jahren bedeutet.

Die Reformen, die eine EU mit 25 Mitgliedern dringend braucht, werden auf das Jahr 2009 verschoben. Offenbar das einzige Mittel, um die kleinen und mittleren Länder zu einem winzigen Schritt über den Minimalkonsens von Nizza hinaus zu bewegen. Gerade die Beitrittsländer bestehen darauf, in der Kommission mit je einem Kommissar vertreten zu sein. Sie wollen unbedingt verhindern, dass die lange geltenden Privilegien der EU-Mitgliedschaft abgeschafft werden, noch bevor sie davon profitiert haben. Mittelgroße Mitgliedstaaten wie Österreich und kleine wie Finnland waren bis jetzt stolz darauf, durch das im Rat geltende Konsensprinzip ebenso viel Einfluss nehmen zu können wie Deutschland oder Frankreich. Diesen Vorteil wollen sie nicht preisgeben. Auch Spanien und Großbritannien wollen die alten Pfründe sichern. Nur weil Spanien die Zusage erhielt, noch bis 2012 bei Abstimmungen im Rat überproportional berücksichtigt zu werden, kann Giscard hoffen, dass Madrid nicht die ganze Reform blockiert.

Vor diesem Hintergrund wirkt der Giscard-Kompromiss entmutigend. Für die Zeit nach 2009 jedoch zeigt er durchaus Wege auf, die zu mehr Effizienz führen können. Dann soll ein hauptamtlicher Ratsvorsitzender die Arbeit des Rates koordinieren. Das Rotationsprinzip soll abgeschafft werden. Ein Schritt in die richtige Richtung. Ende 2009 soll dann auch endlich die EU-Kommission verkleinert werden. Dann sollen die Mitgliedstaaten ohne eine neue Regierungskonferenz entscheiden, über welche Themen sie mit der neu einzuführenden superqualifizierten Mehrheit von Zweidritteln der Mitgliedstaaten und 80 Prozent der Bevölkerung abstimmen wollen, für welche die qualifizierte Mehrheit oder die Einstimmigkeit gilt.

Wenn diese Regelung von den Mitgliedstaaten akzeptiert werden würde, wäre für die Zukunft Europas ein wirklicher Fortschritt erreicht. Die wichtigen Fragen in der Außen-, Verteidigungs- und Finanzpolitik werden dennoch lange für Mehrheitsentscheidungen tabu bleiben. Sollte Fischer wirklich europäischer Außenminister werden wollen – worauf in Brüssel viele hoffen – würde er sich mit einem beschränkten Handlungsspielraum abfinden müssen.

Frankreichs Außenminister Dominique de Villepin hat in der Konventsdebatte erneut den „harten Kern" ins Spiel gebracht, der den Weg für die anderen bereitet. Paris will über den Vertrag von Nizza hinausgehen. Berlin ebenfalls. Wenn der französische Staatspräsident Chirac und Bundeskanzler Schröder am Dienstag in Berlin zusammentreffen, sollten sie über diese Verfassung hinaus planen.

Mariele Schulze Berndt

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