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Meinung: Fischer und die Falschaussagen: Er selbst nährt die Dämonen

Es gibt eine Sentenz des Dramatikers Friedrich Hebbel, in der er die Moral-Kategorien Kants, die Ethik des deutschen Idealismus, einfach und verständlich zusammengefasst hat: "Der eine fragt, was kommt danach. Der andre, ist es recht?

Es gibt eine Sentenz des Dramatikers Friedrich Hebbel, in der er die Moral-Kategorien Kants, die Ethik des deutschen Idealismus, einfach und verständlich zusammengefasst hat: "Der eine fragt, was kommt danach. Der andre, ist es recht? Und danach unterscheidet man den Freien und den Knecht."

Als jetzt in einem der unzähligen Gespräche, die ad hoc heftig und hitzig aufflammen , über den Fall Joschka Fischer debattiert wurde und einer meinte, der Außenminister habe sich in seiner Salami-Taktik des Leugnens, Eingestehens und Zugebens wie in einer Schlinge verfangen, erwiderte ihm ein anderer: "Willst du etwa einen Außenminister Möllemann?" Was kommt danach?

Die Debatte um Fischers Vergangenheit, die in Wahrheit eine Debatte darüber sein sollte und müsste, wie der von der eigenen Jugendbiografie Eingeholte heute mit seiner Geschichte umgeht, diese Debatte gibt sich hoch moralisch (in den Kategorien von Schuld und Sühne) und ist in Wahrheit durch und durch politisch instrumentalisiert. Und das Erschreckende, zumindest Verblüffende: Sie polarisiert die deutsche Öffentlichkeit (die dabei in die Zeiten zurückfällt, als sie nur eine westdeutsche Öffentlichkeit war) in zwei gegeneinander aggressiv-misstrauische Lager, die man für längst überwunden, überlebt hielt.

Auf einmal stehen sich Alt-Achtundsechziger und die Alt-Konservativen wieder in verbalen Straßenschlachten gegenüber, als welkte die Utopie immer noch unter dem Pflasterstrand.

Die Aktenschränke werden im Zugwind aufgerissen, und wir sehen erschrocken die Skelette unserer 68er-Vergangenheit. Viel Schaum vorm Mund, viel Entrüstung ist zu beobachten: Das eine Lager sieht im Minister den militanten Straßenkämpfer von einst am Werk: Er sei nur mit List und Tücke einen langen Marsch durch die Institutionen gewandert, habe Leichen im Keller, eine terroristische Vergangenheit mache ihn für ein Staatsamt untragbar.

Fischer hat sich diese wütende Entrüstung zu guten Teilen selber zuzuschreiben, indem er Dinge heftig bestritt, Sachverhalte ableugnete, die, für sich genommen, sehr wohl in seine Biografie passen, die, weggeleugnet (wie die PLO-Reise von 1969), aber den Verdacht erwecken, damals sei so Furchtbares vorgefallen, an dem der Leugner so sehr beteiligt gewesen sei, dass er nun in Panik lüge.

Dass ihm die Opposition einen Strick daraus drehen will, die Regierung in Bedrängnis zu bringen sucht, ist ihr gutes Recht. Nicht so gut zu Gesicht steht dieser Instrumentalisierung der Vergangenheit und damit der Moral die zur Schau gestellte Entrüstung: Als sei ein 21-Jähriger, der vor über 30 Jahren auf einem PLO-Kongreß saß, eine drohende Gefahr für heute. Gerade in seiner Haltung zu Israel übt Fischer (und er tat es schon während des von ihm abgelehnten Golf-Krieges) unbeirrbar tätige Reue.

Aber auch das andere, das Fischer-Verteidiger-Lager, kann sich vor übertreibender Entrüstung kaum halten: "Pornografie" seien die Ermittlungen gegen Fischer. Die Staatsanwaltschaft lasse sich rückhaltlos politisch missbrauchen. Die Unwahrheit, die Fischer gesagt habe, sei eine Falle, in die man ihn bösartig habe laufen lassen. Wer das liest, merkt: Instrumentalisierte Moral ist Heuchelei, bestenfalls.

Einmal abgesehen davon, dass Fischer, selbst wenn es so wäre, nicht in die Falle hätte tappen müssen (wie auch übrigens Schäuble es in der Spendenaffäre nicht hätte tun müssen), instrumentalisiert das liberale, das linke Lager mit Heftigkeit Fischers Fall als angebliches politisches Kesseltreiben gegen die Regierung.

Keinem geht es also um die Sache und deren Moral, beiden um die Eroberung der Macht oder ihren Erhalt: Beides, wie gesagt, legitime Ziele: "Was kommt danach?" Wahrscheinlich, höchstwahrscheinlich sind Fischers Taten in einer (übrigens alles andere als heroisierenswerten) Vergangenheit wirklich die Lappalien, sympathisch bis brutal, als die er sie hinstellen möchte. Aber indem er sie mal ausspricht, mal verschweigt, erst herausstellt, dann verleugnet, sich zerknirscht zeigt und sodann mit arroganter Chuzpe wegwischen will, stiftet er nachträglich ihren dämonischen Verschwörerzusammenhang, der sich gegen ihn instrumentalisieren lässt. Er ist nicht Herr, er ist Knecht seiner Biografie.

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