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Meinung: Fischers Vergangenheit: Gerechte und Selbstgerechte

Auch die gestrige Fragestunde hat die Position des Außenministers nicht erschüttert. Aber die Debatte über seine Vergangenheit kostet ihren Preis.

Auch die gestrige Fragestunde hat die Position des Außenministers nicht erschüttert. Aber die Debatte über seine Vergangenheit kostet ihren Preis. Er besteht weniger darin, dass ein Politiker, der diesen Staat einst militant bekämpft hat - und zwar in einem Alter, in dem man wissen kann, was man tut -, auch künftig diesen Staat vertreten wird. Das kann diese Bundesrepublik verkraften. Aufgeklärt, wie wir sind, sind wir ja auch gerne bereit, darin einen Erfolg zu sehen. Zu Buche schlägt vielmehr eine Verschiebung im Bewusstsein ihrer Geschichte. Der Irrweg, auf den jeder das Recht hat, avanciert zum Beispiel des Richtigen.

Mittlerweile muss man ja fragen, ob diejenigen, die damals nicht demonstrierten, Vorlesungen sprengten oder endlose Strategie-Diskussionen führten - also die Meisten -, dieser Republik etwas schuldig geblieben sind. Denn folgt man der zum Gemeinplatz werdenden Lesart, so gäbe es ohne die 68er die liberale, moderne Bundesrepublik von heute nicht. Da wirkt dann schon die Frage irgendwie deplaziert, ob es damals wirklich unumgänglich war, Steine zu werfen. Klar, man weiß schon, was die rechtfertigen soll: die bleiernen fünfziger Jahre, die autoritär verkrustete Gesellschaft, die NS-Vergangenheit. Doch das ist nur die alte Lebenslüge in neuem Gewand, und sie belegt vor allem die Fähigkeit der 68er, sich selbst in die Tasche zu lügen. Darin bestand allerdings immer eine ihrer Stärken.

Natürlich ging es auch anders. Die Mehrheit dieser Generation trug zwar auch die Haare lang, aber den revolutionären Verrenkungen sah sie lediglich fasziniert-distanziert zu. Sie zog nicht ins linke Ghetto, sondern wählte die demokratischen Parteien, und wenn in den Folgejahren in Behörden, Firmen und Familien ein neuer Geist einzog, dann war sie es, die ihn da hineintrug. Denn das bewirkten, natürlich, die "Mainstream-Biografien", nicht, wie der grüne Fraktionschef Rezzo Schlauch glauben machen will, der Aufstand gegen sie - alle diese Um- und Irrwege über K-Gruppen und Gorleben-Kleinkrieg, die viele erst nach Jahren dort ankommen ließen, wo der verhöhnte Mainstream längst war: bei Demokratie, Marktwirtschaft und atlantischem Bündnis. Die Protestbewegung als Baumschule der Demokratie? Da wird uns ein falsches Leitbild aufgeschwatzt. Der Bock soll, wieder einmal, der Gärtner gewesen sein.

Keine Frage, dass die Wirkungen der 68er-Bewegung beträchtlich waren. Die Frage ist nur, ob sie der Bundesrepublik wirklich zu mehr Demokratie und Liberalität verholfen haben. Sie war ein gewaltiger kulturrevolutionärer Schub - und bereiteten zugleich einer schlimmen Re-Ideologisierung den Weg. Sie führte viele in politische und intellektuelle Sackgassen, mit dem Terrorismus als fataler Nachgeburt. Und selbst die späte Re-Sozialisierung à la Fischer hat ihre Kostenseite - anhaltende Verwirrung der Geister, eine Friedensbewegung, die zu unser aller Glück nicht erfolgreich war. Wenn die deutsche Gesellschaft am Ende offener geworden ist, dann dank einer List der Geschichte, an der die 68er nur wenig Anteil hatten.

Denn es ist ein Mythos, dass sie die Bundesrepublik aus Reform-Unfähigkeit und Unbeweglichkeit herausreißen mussten. Sie war ja in Bewegung, gerade in den sechziger Jahren. Sieht man genau hin, ist fast alles, was die Bundesrepublik seither vorangebracht hat, ohne die Protestbewegung in Gang gekommen, oft gegen sie. Ihr wirtschaftlich-sozialer Erfolg ohnedies. Aber es waren zum Beispiel auch Kultusminister und Bildungspolitiker - nicht die Studenten -, denen die Bildungsreformen zu verdanken sind. Und der Umweltschutz wurde unter einem Innenminister namens Genscher erfunden - zu einer Zeit, zu der es dem jetzigen Außenminister noch nicht schwante, dass er je zum Grünen werden würde.

Versöhnlich, wie wir alle heute geworden sind, ziehen wir uns angesichts der Causa "Fischer & andere" gern auf die Weisheit der Bibel zurück, dass im Himmel mehr Freude ist über einen Sünder, der Buße tut, als über 99 Gerechte. Aber in der Bibel steht nichts davon, dass die reumütigen Sünder die Gerechten von heute sind. Schon gar nicht die besseren Demokraten.

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