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Meinung: Flottenbau und Kolonialpolitik war einmal

Nur die große Koalition liefert die notwendige nationale Klammer Von Alexander Gauland

Man kennt es von einer beginnenden Depression, die Sucht, nach Schuld und Schuldigen zu suchen in der Vergangenheit, verbunden mit dem Zwang sich zu reinigen, neu anzufangen. Es ist richtig, dass Angela Merkel dem widerstehen möchte, doch der Erfolg wird ihr verwehrt bleiben, zu viele suchen nach Gründen für die halbe Niederlage der Union und frönen einem krankhaften Waschzwang. Dabei wissen alle, woran es gelegen hat.

Die Menschen fanden bei der CDU zu wenig Sicherheit und zu viel Veränderung. Das Dilemma der Partei ist das Dilemma der deutschen Gesellschaft inmitten der Globalisierung. Auf der einen Seite stehen die vielen „kleinen Leute“, die abhängig Beschäftigten, die ihren Lebensstandard halten möchten und Veränderungen, sprich Reformen, scheuen. Auf der anderen Seite drängen ungeduldig die Wirtschafts und Medieneliten, die in der globalisierten Welt zu Hause sind und Reformen für unabdingbar halten. Der halbe Sieg der SPD verdankt sich den einen, der Zuwachs für die Liberalen den anderen.

Wie oft kann man im Gespräch mit Freunden und Bekannten die Ungeduld spüren, aus der heraus den eigenen Kindern die längst in England oder Amerika studieren, der Rat gegeben wird, bleibt draußen, das wird hier nichts mehr. Es ist deutlich wahrnehmbar zum Beispiel in der Jungen Union, dass die Fürsorglichkeit out ist, während Eigenverantwortung und Individualisierung nahe bei alter Rücksichtslosigkeit und neuer Ellenbogengesellschaft liegen.

In der alten Bundesrepublik war diese Haltung eingebunden in die Lehren aus der Katastrophe des „Dritten Reiches“ und die Furcht vor dem gewaltsamen Sozialismus Moskauer Observanz. Was die Bismarck, Krupp und Abs noch im Blut hatten, die klare Scheidung zwischen oben und unten verbunden mit der Fürsorge für die unten, verschwindet in der demokratischen Fiktion der gleichen politischen und Lebenschancen. Die alten Klassen- und Schichtengegensätze kehren zurück, ohne dass man das Weniger für alle zu kompensieren in der Lage wäre in einer neuen Volksgemeinschaft mit Bismarcktürmen, Flottenbau und Kolonialpolitik.

Es ist zwar richtig, dass diese nationalen Klammern anders als in England und Frankreich vom Rostfraß des Nationalsozialismus zerstört wurden, aber ohne derartige Symbole wird es schwer sein die „Kleinen“ zu Opfern anzuhalten, die die „Großen“ nicht bringen müssen. So ist die große Koalition der einzig richtige Versuch, über die Reformgemeinschaft der Volksparteien einen Ersatz für die Volksgemeinschaft zu entwickeln, der Veränderungen ermöglicht, die bei Schwarz-Gelb zu Massendemonstrationen und Abwahl geführt hätten.

Man kann, wie es die Junge Union offenbar vor hat, die Union zu einer FDP mit christlichen Komponenten umformen – so war es in dieser Zeitung zu lesen –, mehrheitsfähig ist eine solche Partei nicht wie das Schicksal des politischen Liberalismus seit 1880 beweist. Eine Analyse des Wahlkampfes mag einzelne Fehler zu Tage fördern, die Person Kirchhofs und seine Vision einer Einheitssteuer war einer davon, doch den gesellschaftlichen Grundwiderspruch kann man mit noch soviel Aufarbeitung nicht aus der Welt schaffen: Keine Krankenschwester wird CDU wählen, nur weil ihr die Eliten erklären, dass die Steuerfreiheit der Nachtzuschläge ein ordnungspolitischer Systembruch ist, der vom Arbeitgeber getragen werden muss. Denn die Krankenschwester weiß, dass der Arbeitgeber – personell angespannt und unterfinanziert – den Verlust nicht ersetzen wird, was immer die Ordnungspolitiker erklären mögen. Im Wahlkampf stand Sicherheit gegen Flexibilität und Eigenverantwortung und das Sicherheitsbedürfnis hat gesiegt. Das wird immer so sein, Wahlanalyse hin, Aufarbeitung her. Allein ein großes nationales Thema könnte den Wirtschaftsliberalen zum Sieg verhelfen, zum Beispiel eine Anti-Türkei-Kampagne in einigen Jahren, wenn der Beitritt tatsächlich ansteht.

Den Streit in der Union kann man sich deshalb sparen. Stoiber, Seehofer, Rüttgers und Laumann haben Recht, wenn sie die Wirtschaftskompetenz der Union künftig wieder in ein soziales Gerechtigkeitsgefühl einbetten möchten. Denn so lange wir eine Demokratie haben werden sich die Wirtschaftseliten mit dem Reformtempo begnügen müssen, das die Mehrheit der Wähler als zumutbar empfindet.

Der Autor ist Publizist.

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