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Ante Gotovina.

© AFP

Freispruch für Ante Gotovina in Den Haag: Das Vertrauen in das Tribunal ist erschüttert

Die Kroaten feiern den Freispruch, in Belgrad stehen die Menschen unter Schock. General Ante Gotovina ist überraschend frei. Dass das vorhergehende Den Haager Urteil in der Berufung komplett auf den Kopf gestellt wurde, rüttelt am Vertrauen in das Tribunal. Und es könnte auch Europa schaden.

Von Caroline Fetscher

Als wäre damit alles erledigt, alles erklärt - so feiern jetzt in Kroatien viele Tausende den Freispruch für ihren General. Noch bis gestern schien klar, dass Ante Gotovina in Haft bleiben würde, 24 Jahre lang. Dann aber kam der Mann völlig überraschend frei. In Zagreb toben Kriegsveteranen und deren Familien vor Begeisterung, in Belgrad steht die Öffentlichkeit unter Schock.

Im April 2011 hatte das Den Haager Tribunal für das ehemalige Jugoslawien Gotovina verurteilt. Vorgeworfen und nachgewiesen worden waren dem General der kroatischen Armee Kriegsverbrechen, die gewaltsame Vertreibung serbischer Zivilbevölkerung aus Kroatien, die Teilnahme an einem „gemeinschaftlich geplanten, kriminellen Unterfangen“.

Gotovinas Mitangeklagter, Mladen Markic, zum Zeitpunkt der Taten im Sommer 1995 Kommandeur einer Sondereinheit der kroatischen Polizei, war zu 18 Jahren Haft verurteilt worden. Auch er kommt jetzt sofort frei.

Dass Verurteilte gegen die Richtersprüche Berufung einlegen ist Routinesache in Den Haag. Auch dass ein Strafmaß durch die Berufungskammer noch einmal modifiziert wurde, ist schon vorgekommen. Und Freisprüche hat es an diesem internationalen Gerichtshof mit mehr als tausend hochprofessionellen Mitarbeitern aus aller Herren Länder auch schon gegeben.

Aber dass ein solcher Schuldspruch nach einem sechs Jahre dauernden Verfahren komplett revidiert und in sein Gegenteil verkehrt wird, das rüttelt am Vertrauen in das Tribunal und dessen Effizienz. Es scheint, als gebe es mit dieser Berufungskammer ein zweites Tribunal.

„Held, nicht Kriegsverbrecher!“ war auf den Plakaten in Kroatien zu lesen gewesen, mit denen beinharte Nationalisten Gotovina den Rücken stärken wollten. Auf dieses Milieu wirkt der erneute Schiedsspruch wie eine Einladung, die Verbrechen auf kroatischer Seite zu bagatellisieren, die es in den Zerfallskriegen um das ehemalige Jugoslawien ebenso gab wie Verbrechen serbischer Milizionäre, Marodeure und Armeeangehörigen.

Bei diesen lag ohne Zweifel und nachweisbar die Hauptlast der Verbrechen. Aber gerade auf die Tatsache, dass die internationale Justiz ohne Ansehen der ethnischen und religiösen Herkunft der Angeklagten urteilte, waren die Mitarbeiter des Tribunals stolz. Etwas mache sie wohl richtig, rühmte sich Carla del Ponte, die bekannteste Chefanklägerin, wenn sämtliche Konfliktparteien der Ansicht sind, gerade sie würden benachteiligt.

Das Vertrauen in eine Justitia zu festigen, die mit verbundenen Augen auch auf dem ganzen Globus balanciert, war schwer genug für Den Haag. Den Argumenten der Haager Berufungskammer im Fall Gotovina wird die Mehrheit der heute lebenden Serben kaum folgen. In Südosteuropa, wo wilde Verschwörungstheorien und Korruption noch immer zum Alltag gehören, wird es bald heißen, Kroatien habe hinter den Kulissen seinen General freigekauft und damit seinen Pfad in die EU geglättet. Wer annimmt, dass sich in Den Haag vermutlich besonders spitzfindige Juristen profilieren wollten, wird als naiver Westeuropäer gelten.

Eine Berufung gegen die Berufung gibt es nicht. Die Haager Würfel sind gefallen, und der Eindruck bleibt, dass dort tatsächlich auch gewürfelt wurde. Halten wir auf alle Fälle diejenigen gut im Blick, die heute ihren General am lautesten bejubeln. Nicht nur angesichts des politischen Klimas etwa in Ungarn hat Europa im Moment besonderen Grund, vor Nationalisten auf der Hut zu sein.

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