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Nordkoreanische Kinder werfen Steine in den Yalu-Fluss an der nordkoreanisch-chinesischen Grenze bei Sinuiju und Dandong.

© Reuters

Gastbeitrag: Zwist zwischen ungleichen Brüdern

Chinas muss akzeptieren, dass Nordkorea Atomwaffen besitzt. So gewinnt es seinen diplomatischen Einfluss in Nordkorea zurück und gewinnt Zeit, seine Strategie neu auszurichten.

Seit Wochen ist die Lage auf der koreanischen Halbinsel angespannt. Kim Jong Uns Erklärung des Kriegszustandes, die Schließung der Sonderwirtschaftszone Kaesong und die Ankündigung, den Kernreaktor Yongbyon wieder in Betrieb zu nehmen, richten sich gegen Südkorea, die USA, aber auch gegen China.

Ohne Rücksicht auf den „Bruderstaat“ verfolgt Nordkorea seit 2006 aktiv die atomare Aufrüstung seiner Streitkräfte und verletzt damit mehrere Kerninteressen Pekings. Gleichzeitig ist Nordkorea abhängig von chinesischen Nahrungs- und Öllieferungen. Die internationale Gemeinschaft fordert deshalb, China müsse seine wirtschaftliche Machtposition nutzen, um Nordkorea seine Grenzen aufzuzeigen. Das ist nachvollziehbar. Geschehen aber ist noch nichts.

Nadine Godehardt ist Asien-Expertin der Stiftung Wissenschaft und Politik.
Nadine Godehardt ist Asien-Expertin der Stiftung Wissenschaft und Politik.

© promo

Obwohl es auch in China immer mehr Kritik an der indifferenten Haltung der chinesischen Führung gegenüber Nordkorea gibt, wird die chinesische Regierung Nordkorea den Hahn jetzt (noch) nicht zudrehen. Die Konsequenzen sind (noch) nicht berechenbar und die politische wie wirtschaftliche Realität einer koreanischen Halbinsel ohne Nordkorea momentan noch kaum vorstellbar.

Allerdings blieb Chinas Führung nicht völlig tatenlos. Wie bereits 2006 und 2009 war sie beteiligt an der Ausarbeitung der UN-Sanktionen, die Anfang März implementiert wurden. Auch 2006 stand China vor der Wahl, entweder multilateral oder unilateral gegen Nordkorea vorzugehen. Die damalige chinesische Führung unter Hu Jintao entschloss sich aufgrund der klaren amerikanischen Präferenz zur Zusammenarbeit mit den USA.

Jedoch musste Peking für die Anwendung wirtschaftlicher Druckmittel einen hohen Preis zahlen, da die Führung ihren diplomatischen Einfluss auf Pjöngjang zeitweise komplett einbüßte. Bis zu einem gewissen Grad haben sich die Beziehungen zwischen China und Nordkorea hiervon nie erholt. Der multilaterale Weg führte zwar zur Annäherung Chinas an die internationale Position und zu einer Verbesserung der amerikanisch-chinesischen Beziehungen, aber gleichzeitig beeinträchtigte das Vorgehen Chinas Bild in Nordkorea nachhaltig. Trotz des aktiven Engagements und der (zumindest symbolischen) Übernahme von Verantwortung hat Peking seinen direkten politischen Einfluss in Pjöngjang sowie seine Rolle als ein möglicher Vermittler zwischen den USA und Nordkorea verloren. Außerdem konnten die Sanktionen die fortschreitende Nuklearisierung Nordkoreas nicht verhindern.

Hat sich diese Situation heute verändert? Deuten die neuen Sanktionen darauf hin, dass sich Chinas Politik gegenüber Nordkorea endgültig gewandelt hat? Die Antwort ist: Nein. Pekings Position ist immer noch unentschieden. Die chinesische Führung wird jetzt nicht auf einmal hart durchgreifen, sondern sich weiter durchwurschteln. Noch gibt es keine Antwort auf das Dilemma, noch ist das Dilemma die Antwort.

Mit anderen Worten: China muss seine Ziele in der Nordkoreapolitik neu definieren. Es ist nicht länger möglich, dass alle Interessen sich gleichermaßen erfüllen, schließlich haben sich die Realitäten auf der koreanischen Halbinsel verändert. Regionale Stabilität, das mit Abstand wichtigste Ziel Chinas, ist jetzt nicht mehr nur mithilfe der Denuklearisierung Nordkoreas zu erreichen. Nordkorea besitzt Atomwaffen. Die Akzeptanz – nicht die Zustimmung zu – dieser Realität könnte zunächst einen kalten (wenn auch sehr kalten) Frieden in Nordostasien gewährleisten.

Die Akzeptanz der nuklearen Realität würde allen beteiligten Parteien Zeit verschaffen. Zeit, die genutzt werden muss, um über die Bedingungen für Friedensverhandlungen zu sprechen. Und China braucht Zeit, um seine Beziehungen zu Nordkorea zu überdenken und die USA davon zu überzeugen, dass Gespräche mit Nordkorea noch Sinn ergeben. Die Politik der Sanktionen sendet in beide Richtungen die falschen Signale.

Nadine Godehardt ist Asien-Expertin der Stiftung Wissenschaft und Politik.

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