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Gastkommentar: Der politische Zwerg wird zu stark

Berlins neues Gewicht zerstört die traditionelle Machtbalance mit Paris. Zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung braucht Deutschland Frankreich nicht mehr für seinen Auftritt in der Welt. Oder glaubt, Frankreich nicht mehr zu brauchen.

Es gibt wieder einmal Krach in den deutsch-französischen Beziehungen. Eigentlich ist das nicht schlimm. Die Romantifizierung des deutsch-französischen Tandems ist falsch, denn Krach gab es fast immer in den fünf Dekaden, in denen Frankreich und Deutschland um die europäische Integration gerungen haben. Gestritten wurde über den Binnenmarkt, den Euro und die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik zwischen Nato und europäischer Selbstbehauptung. Aber meistens war der Krach konstruktiv. Am Ende standen große europäische Integrationssprünge wie beispielsweise der Vertrag von Maastricht.

Jetzt aber scheint die konstitutive Machtbalance des Tandems gestört, jene berühmte „Symmetrie in der Asymmetrie“: Der politische Zwerg Deutschland mit dem nuklearmachtgeschwängerten französischen Goliath; das wirtschaftlich potente Deutschland mit dem agrarisch-merkantilen Frankreich, das war das Traumpaar, das den europäischen Konsens stets ermöglicht hat. Wenn Deutschland und Frankreich sich geeignet hatten, dann gab es in diesem Kompromiss Platz für alle anderen Staaten. Damit ist jetzt Schluss, denn Deutschland ist jetzt wirtschaftlich und politisch stark. Zu stark fast.

Zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung braucht Deutschland Frankreich nicht mehr für seinen Auftritt in der Welt. Oder glaubt, Frankreich nicht mehr zu brauchen. Das Kräfteverhältnis zwischen den beiden Staaten hat sich fundamental verschoben, und zwar zugunsten Deutschlands. Die Franzosen fühlen das und sind zugleich verängstigt und irritiert. Selten sind die Franzosen den Deutschen so sehr nachgelaufen wie in der momentanen Eurokrise; und selten haben die Deutschen so sehr zu verstehen gegeben, dass sie den Ton in Europa angeben. Da tut es nichts zur Sache, dass Nicolas Sarkozy das Wortspiel um die vermeintliche „europäische Wirtschaftsregierung“ gewonnen hat. Angela Merkel hat den Begriff akzeptiert – gemacht wird trotzdem, was Deutschland will. Jahrzehntelang hatten die Franzosen drei wirtschaftspolitische Instrumente, mit denen sie ihre Wirtschaftspolitik gestaltet und ihren sozialen Konsens befördert haben: Inflation, Abwertung und Industriepolitik. Alle drei sind ihnen durch den Euro genommen worden. Die Stunde der Wahrheit ist für Nicolas Sarkozy gekommen: Deutschland fordert das erneute französische Bekenntnis zu Stabilität, Sparplänen und Strukturreformen. Das mag in der Sache richtig sein – und geht trotzdem nicht per Oktroi. Zumal Frankreich im nächsten Jahr wählt. Was, wenn Frankreich es politisch nicht schafft, weil es nicht so „deutsch“ sein kann, wie viele es hier gerne hätten? Am Ende könnte es um das starke Deutschland einsam werden, denn wahr ist auch: Frankreich ist der Kitt zwischen dem Süden und dem Norden Europas. Deutschland hat nichts davon, wenn der wegbricht! Es liegt daher auch an Berlin, zu entscheiden, welche Stoßdämpfer es einbauen will, um den Achsenbruch zu vermeiden.

In Europa wird es in der nächsten Dekade um Geoökonomie und nicht mehr um Geostrategie gehen. Während Deutschland in Zeiten der Geostrategie den Osten und den Westen zusammengehalten hat, wird Frankreich in Zeiten der Geoökonomie den Norden und den Süden Europas zusammenhalten müssen; es wird das aber nur schaffen, wenn dies auch in Berlin noch gewollt wird. Deutschland muss akzeptieren, dass nicht jedes europäische Land seine meist historisch gewachsenen wirtschaftlichen und sozialen Gestaltungsformen am deutschen Modell ausrichten kann. Ein europäischer ökonomischer Konsens muss reifen. Sonst kommt Europa in die Bredouille, weil sowohl Deutschland als auch Frankreich das Gefühl bekommen könnten, das politische Projekt Europas gleichsam gegen die eigene wirtschaftliche Vernunft durchsetzen zu müssen. Das aber werden beide auf Dauer nicht durchhalten.

Die Autorin leitet das Berliner Büro der paneuropäischen Denkfabrik European Council on Foreign Relations.

Ulrike Guérot

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