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Gastkommentar: Pro Reli: Zwei Fragen, auf die es ankommt

Das Volksbegehren Pro Reli war zur offenkundigen Überraschung unserer Stadtpolitiker recht erfolgreich. Nun rüsten sie zum Gegenangriff mit handfester, unverhohlen einseitig der eigenen Position gewährter finanzieller Unterstützung.

Die Politik bietet Prominente auf, die – in genauer Kenntnis der Sachzusammenhänge und Probleme, die in einem solchen Unterricht zu bearbeiten sind? – den in Berlin eingeführten Weg einer gemeinsamen Aufklärung und Diskussion jeweils aller Schüler im Klassenverband als die selbstverständlich beste Lösung preisen.

Wenn ich mich zu dem Problem äußere, so einmal aufgrund mehrerer Jahre der Mitarbeit bei der Weiterbildung für Ethik- und Philosophielehrer im Rahmen des 1994 begonnenen Berliner Schulversuchs, der auf Wahlfreiheit zwischen diesem und dem im Namen einer Religion oder Weltanschauung erteiltem Unterricht angelegt war. Zum anderen äußere ich mich als Autor eines 2008 erschienenen Buches, das – aufgrund langjähriger Erfahrungen im Philosophie- und Religionsunterricht – aus philosophischer und geschichtlicher Sicht eine Darstellung des Wesens des Christentums im Dialog mit anderen Glaubensformen und der Gestaltung seines Verhältnisses zum Staat versucht hat.

Mein Vorschlag: Man lege sich zwei Fragen vor.

Erstens: Worauf beruhte eine Trennung von Kirche und Staat, die in der Mehrzahl der Bundesländer unter staatlicher Schulaufsicht einen inhaltlich von den Kirchen beziehungsweise Religionsgemeinschaften zu verantwortenden Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach ermöglichte? Meine Antwort: Auf der Einsicht, dass es einer Einführung aller Schüler in die ethische und religiöse Thematik bedarf, der Inhalt aber nicht vom Staat vorgegeben werden kann, sondern – zunächst noch ganz überwiegend in der im Prinzip bejahten christlichen Tradition – von den auf dieses Thema spezialisierten, an den theologischen Universitätsfakultäten in freier geistiger Auseinandersetzung geschulten, in kirchlichem Auftrag arbeitenden Sachkennern zu entwickeln ist. Der Staat beschränkte sich darauf, durch eine behutsam geübte Aufsicht den dafür unverzichtbaren äußeren Rahmen zu garantieren und die Einhaltung der grundgesetzlichen Ordnung zu überwachen. Neu ist heute, dass auf religiöser Seite die geistige Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen bei uns vertretenen Religionen eine Dringlichkeit erlangt hat, die so erst nicht vorauszusehen war. Auch wenn den Schülern diese geistigen Kämpfe nicht verheimlicht werden sollen: Sie ganz direkt, womöglich allein von ihnen in den gemeinsamen Schulstunden austragen zu lassen, muss sie überfordern. Auch bei der Weiterbildung zogen wir für die Behandlung der Religionen, statt sie selbst durchzuführen, deren eigene ausgewiesene Vertreter hinzu.

Zweitens: Von welcher Position aus, glauben Sie, wird die gesamte Problematik nicht nur der Ethik oder der „Werte“, wie man heute gern sagt, sondern auch der Gottesfrage mit dem besten Sachverstand und tiefsten Einfühlungsvermögen sowie mit Übung in Selbstkritik dargestellt und in der Diskussion behandelt werden? Die islamische und die christliche am besten von „aufgeklärten“, das heißt über Religion hinausgewachsenen Lehrkräften möglichst ohne eigenes religiöses Profil? Die der Christen von Muslimen? Die der Juden von Muslimen oder Christen? Wo hat das Eingehen auf die Schwierigkeiten, die junge Menschen mit der Selbstfindung in den religiösen und ethischen Fragen haben können, die lebendigste Tradition? Eine Antwort hierauf dürfte nicht schwer fallen.

Die dümmste Lösung wäre übrigens die Stimmenthaltung. Sie ist vielleicht momentan bequemer. Sie führt nach der Erfahrung bei allen wirklich freien Wahlen nur dazu, dass in verantwortlichen Positionen Dinge vertreten und verfolgt werden, die eigentlich keiner haben wollte.

Der Autor war von 1971 bis 1994 Direktor des Evangelischen Gymnasiums zum Grauen Kloster in Berlin. Nach der Pensionierung arbeitete er als Religions- und Philosophielehrer in Berlin-Lichtenberg. Zuletzt ist von ihm das Buch „Grundlinien einer systematischen Theologie. Aus philosophischer Sicht“ (Peter Lang Verlag) erschienen.

Hans Scholl

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