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Gastkommentar: Theologie kann Religionswissenschaft nicht ersetzen

"Islamische Studien" bedrohen die traditionelle Islamwissenschaft, meint Sabine Schmidtke, Professorin für Islamwissenschaft an der Freien Universität Berlin. Die Einführung des Parallelstudiengangs läuft den intendierten Integrationsbemühungen zuwider.

In der Integrationsdebatte werden ganz neue primär religiös begründete Grenzlinien gezogen – auch in der Konzipierung eines neuen Studiengangs „Islamische Studien“. Nach einer Empfehlung des Wissenschaftsrats wird er parallel zur etablierten Islamwissenschaft an mehreren Standorten eingerichtet. Ziel des neuen Faches ist die Ausbildung von Imamen und Lehrern für muslimische Religion, somit richtet es sich ausschließlich an muslimische Studierende. Das wissenschaftliche Personal, dessen Berufung die Zustimmung muslimischer Beiräte voraussetzt, kann ebenfalls allein aus dem Kreis muslimischer Religionsanhänger rekrutiert werden. Mit Blick auf die Berufsfelder künftiger Absolventen und im Interesse der Gleichbehandlung der in Deutschland lebenden Muslime ist das zunächst durchaus plausibel.

Die Empfehlung des Wissenschaftsrats geht allerdings weiter. Die „Islamischen Studien“ sollen auch eigenes wissenschaftliches Personal ausbilden, promovieren und habilitieren – und dies können analog zur Evangelischen und Katholischen Theologie wieder allein Muslime sein. Dadurch wird eine klare Grenze gezogen zwischen der etablierten, nichtmuslimischen Islamwissenschaft und einer muslimischen Islamwissenschaft.

Die Islamwissenschaft ist in ihrer weitgefächerten regionalen, epochalen, philologischen, methodischen und disziplinären Breite bereits aufgrund ihrer Untersuchungsgegenstände ein international angelegtes Fach. Anders als in anderen geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern lassen sich hier keine spezifisch nationalen Wissenschaftstraditionen ausmachen. Kaum ein Fachvertreter kommt ohne ein weit verzweigtes Netz an internationalen wissenschaftlichen Kontakten aus, in erster Linie mit Kollegen aus der islamischen Welt. Forschungsreisen sind für Studierende wie Wissenschaftler eine bereichernde Selbstverständlichkeit, umgekehrt besuchen zahlreiche Graduierte und Wissenschaftler aus Ländern der islamischen Welt deutsche Universitäten, um hier zu promovieren oder zu forschen. Internationale Fachkonferenzen auf höchstem Niveau werden in kaum überschaubarer Fülle im Westen wie in der islamischen Welt abgehalten. Das islamwissenschaftliche Personal etwa in Frankreich, England oder in den USA rekrutiert sich aus nichtmuslimischen wie muslimischen Wissenschaftlern aus unterschiedlichen Herkunftsländern. Wissenschaftlich führend sind im Westen Zentren wie das Department of Near Eastern Studies in Princeton – oder das Berliner Forschungskonglomerat. Es ist vertreten durch das Zentrum Moderner Orient, die Berlin Graduate School Muslim Cultures and Societies, das europäisch geförderte Projekt „Rediscovering Rational Theology in the Medieval World of Islam“ an der FU sowie das Corpus Coranicum an der Akademie der Wissenschaften. In der islamischen Welt führend sind etwa das King Faisal Centre for Research and Islamic Studies in Riad oder das Center for Islamic Studies in Istanbul. Wissenschaftliche Durchbrüche werden von muslimischen wie nichtmuslimischen Fachvertretern erzielt.

Auch hinsichtlich ihrer Gegenstände ist die Unterscheidung zwischen muslimischer und nichtmuslimischer Islamwissenschaft wenig sinnvoll. Die Bereiche, die der Wissenschaftsrat als zentrale Disziplinen der „Islamischen Studien“ definiert, darunter Koranexegese, Traditionswesen, Theologie oder islamisches Recht, sind auch integrale Bestandteile der herkömmlichen Islamwissenschaft.

Eine Differenzierung des Faches nach der religiösen Orientierung ihrer Vertreter wäre ein Rückschritt, da sie hervorragende Kooperationen zwischen Wissenschaftlern mit unterschiedlichen Weltanschauungen zerstört. Es ist absehbar, dass die Unterscheidung in eine muslimische und eine nichtmuslimische Islamwissenschaft den Wissenschaftsstandort Deutschland schwächen wird.

Angesichts der engen finanziellen Spielräume der Geisteswissenschaften erscheint eine Marginalisierung der nichtmuslimischen Islamwissenschaft durchaus realistisch. Die traditionelle islamische Ideengeschichte könnte von Zerschlagung bedroht sein. Eine „muslimische“ Islamwissenschaft, zu der nichtmuslische Studierende und Lehrende keinen Zugang hätten, könnte diesen Verlust nicht aufgefangen. Gesellschaftspolitisch schwört die Einführung des Parallelstudiengangs „Islamische Studien“ das Gespenst einer religiös segregierten Gesellschaft herauf und liefe somit den intendierten Integrationsbemühungen zuwider.

Der Wissenschaftsrat begründet seine Empfehlung mit den mittels Konkordaten und Staatskirchenverträgen festgelegten Mitspracherechten der evangelischen und der katholischen Kirche in der christlicher Theologie. Hier mag ein Ansatz für angemessenere Lösungen liegen. Das historisch gewachsene Staatskirchenrecht setzt institutionell gefestigte Strukturen bei den Religionsgemeinschaften voraus, die auf muslimischer Seite kein echtes Äquivalent haben. Wünschenswert wäre ein Kompromiss, der zwischen der disziplinären Untrennbarkeit der Islamwissenschaft und bekenntnisorientierten Anliegen bei der Ausbildung von muslimischem Kultus- und Lehrpersonal vermittelt. Und gleichzeitig die Gleichstellung der Muslime in Deutschland voranbringt.

Die Entwicklung der Judaistik mag als Vorbild dienen. Das Abraham-Geiger-Kolleg in Potsdam und die Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg sind jeweils mit der universitären Judaistik verzahnt. Damit scheint es zu gelingen, die wissenschaftliche und die bekenntnisorientierte Zielrichtung des Faches zu integrieren – ohne religiös begründete Ausgrenzung.

Die Autorin ist Professorin für Islamwissenschaft an der Freien Universität Berlin.

Sabine Schmidtke

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