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Meinung: „Geht nicht“ geht nicht mehr

Das Gutachten zur Berliner Hochschulmedizin ist eine Chance – vermutlich die letzte

Diesmal ist alles anders. Während dem Regierenden Bürgermeister im Januar ein Sturm der Entrüstung ins Gesicht wehte, als er kraft souveräner Willkür das Franklin-Klinikum zur Schließung bestimmen wollte, klingen die Reaktionen nun verhalten. Dabei sind die Gedanken der fünfköpfigen Expertenkommission zur Berliner Hochschulmedizin, würden sie umgesetzt, nicht weniger einschneidend als Wowereits ursprünglicher Kahlschlagplan. Pro Jahr sollen 98 Millionen Euro eingespart werden. Nur schlagen die vom Vorsitzenden des Wissenschaftsrates, Karl-Max Einhäupl benannten Fachleute nicht die Aufgabe eines Hochschulstandortes vor, sondern die Fusion der beiden Universitätskliniken und die Bildung einer gemeinsamen Fakultät. Das Virchowklinikum soll ab etwa 2010 kein akademisches Lehrkrankenhaus mehr sein. Die Medizinerausbildung würde sich dann auf die Standorte Steglitz (Franklin-Klinikum) und Mitte (Charité) konzentrieren. Der Campuscharakter beider Standorte bietet sich aus Sicht der Gutachter als ideal für die Kombination von Lehre und Forschung an.

Alles eitel Freude und Wonne nun also? Nein, natürlich nicht. In Charlottenburg, wo es künftig nicht mehr nur ein, sondern das Zentrum für Transplantation geben wird und einen Schwerpunkt in der Mutter-Kind-Heilkunde, weist man auf die enormen Investitionen hin, die aus dem früher etwas maroden Virchowklinikum das modernste akademische Lehrkrankenhaus Europas gemacht haben. Ob Berlin 375 Millionen Euro Fördermittel zurückzahlen müsste, wenn die Medizinerausbildung dort wegfällt, ist im Moment noch unklar. Möglicherweise ist der lange Übergangszeitraum bis 2010 genau der Verfahrenstrick, um die Rückzahlungspflicht zu umgehen.

Da die Empfehlungen der Expertenkommission auf weniger Betten, weniger Verwaltungsstellen, weniger Ordinarien, weniger Personal und vor allem auf deutlich weniger Geld hinauslaufen, dürfen wir das momentane Schweigen zu den Vorschlägen nicht als Einverständnis nehmen. Der Protest wird kommen, vermutlich schon heute. Aber die Gutachter haben vorgebaut und ihre Ratschläge argumentativ so untermauert, dass sie nur schwer zu widerlegen sind:

Jede der beiden Hochschulkliniken, so zeigen sie auf, hat in den letzten Jahren bei der Lehrstuhlbesetzung weniger das Ganze, also die Berliner Hochschulmedizin, als vielmehr dezidiert ganz eigene Interessen verfolgt. Forschungsschwerpunkte ergänzen sich nicht. Die Charité heizt die Kosten gar durch Konkurrenz im eigenen Haus an.

Während das Franklin-Klinikum immer noch keine geeigneten Mechanismen entwickelt hat, um Forschungsmittel durchgängig sinnvoll zu verteilen, zerfetzen sich in der Charitè Klinikleitung und Fakultätsspitze im Streit um diese Verteilung – man wagt nicht zu entscheiden, was frustrierender ist.

Schiedsstellen entscheiden, ob eigentlich für Forschung und Lehre bestimmte Gelder vom Krankenhaus verwendet werden, um Leistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung zu decken – ein Skandal. Umgekehrt aber auch, wenn die Kassen in Berlin einen Überhang von Universitätsbetten finanzieren müssen, nur weil die Hochschulen ihre kostentreibenden Strukturen nicht überprüfen wollen.

Andererseits müssen sich die Kassen ebenfalls eine Ermahnung gefallen lassen. Jede Uniklinik, sagen ihnen die Fachleute, muss aus kaufmännischen Gründen eine Mischkalkulation aus Grund- und Hochleistungsversorgung vornehmen dürfen – auch im Interesse des medizinischen Nachwuchses.

Noch etwas, was so wohl nur die Politiker wussten: Während es nach der Wiedervereinigung einen Rückstau bei der Sanierung der Hochschulklinika gab, konnte aus anderen Steuertöpfen der Neubau nicht-universitärer Krankenhäuser vorangetrieben werde. Darüber freut man sich heute in Marzahn und Friedrichshain. Die baulichen Defizite an Charité und Franklin aber blieben. Die Expertenkommission hat alles in allem eine sicher nicht widerspruchsfreie, aber tiefgehende Analyse abgeliefert. Ihr gebührt dafür großes Lob. Niemand sage, das alles ginge nicht, was dort vorgeschlagen wird. „Geht nicht“, ist eines jener Alt-Berliner Totschlagsargumente, die zum Müll gehören.

Gerd Appenzeller

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