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Meinung: Geistige Führung

Von Stephan-Andreas Casdorff

Das ist Politik! Papst Benedikt zeigt allen, wie es geht: aus Fehlern zu lernen und dann zu überzeugen. Nicht nur, dass sich die türkischen Medien vor Bewunderung schier überschlagen; so fischt ein Nachfolger Petri Menschen. Nicht nur, dass Demonstrationen, groß angekündigte, verschwindend klein ausfielen. Er hat außerdem Zeichen für seine Zeit gesetzt. Sein Rückbezug auf Johannes XXIII. war das vielleicht größte unter ihnen. Denn der war es, der einstmals, nach einem Jahrzehnt als Nuntius im Land, sagte: „Ich liebe die Türken.“ Diesen Papst zu zitieren, den sozial Gesinnten, den, der das Zweite Vatikanische Konzil einberief, heißt vatikanologisch, ihm alte Bedeutung neu zu verleihen. Das wiederum bedeutet unendlich viel an politischen Interpretationsmöglichkeiten in unserer politischen Welt.

Dazu in einem Europa, in dem sich die mehrheitlich muslimische Türkei gerade sehr darum bemühen muss, ein Partner zu werden; in der sie sich andienen muss, akzeptiert zu werden. Kein anderer EU-Aspirant wird so hart behandelt. Da ist es Balsam für die Seele, dass der Papst auf diplomatischem Umweg zu erkennen gibt: Ich bin für euch. Benedikt spricht gut von den Türken, er erkennt sie als Kulturvolk an. Ja, richtig: Wo war Jesu Mutter Alterssitz? Wo ist Saulus zum Paulus geworden?

Das mag einen taktischen Gesichtspunkt haben. Keiner kann mehr sagen, Europa solle vor allem wegen der machtvollen katholischen Kirche ein „Christenclub“ sein. Das heißt: Sollte es die Türkei nicht schaffen, alle EU-Partner von sich zu überzeugen, ließe sich das nicht mehr als christliche Voreingenommenheit gegenüber den Muslimen deuten, lautet die Botschaft. Darüber hinaus aber ist es strategisch geschickt, die mit dem Christentum Hadernden an sich heranzuziehen, anstatt sie abzustoßen. So kann man mehr gewinnen.

Er hat alles gesagt, was man den Türken sagen sollte. Und sie doch geöffnet zu seiner Vision für Europa mit einem „vom Glauben geprägten Regieren“. Das ist Politik. Gott, dieser Mann ist das wandelnde Dementi der CDU-Ansprüche auf geistige Führung.

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