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Meinung: Gen für Vernunft

Die manische Phase der Embryonenforschung ist vorbei – und kein Damm gebrochen

Von Bas Kast

Es ist gar nicht lange her, ein Jahr, wenige Monate, da das Wort „Dammbruch" keine Bilder von überschwemmten Landschaften hervorrief, sondern ganz andere Schreckensbilder: Bilder vom gentechnisch optimierten Designerbaby. Horrorszenarien vom gezüchteten, geklonten Menschen, vom Menschen als Ersatzteillager.

Und nun diese Nachricht: Ein britisches Ehepaar mit einem schwer kranken dreijährigen Sohn – der Junge leidet an einer Blutarmut und kann nur durch schmerzhafte Bluttransfusionen am Leben gehalten werden. Eine Heilung, sagen die Ärzte, wäre möglich: mit Stammzellen aus der Nabelschnur eines geeigneten Spenders. Nur woher den Spender holen? Da hilft nur noch die Genforschung weiter: Das Ehepaar will ein zweites, genetisch selektiertes Kind, um damit ihr erstes Kind zu retten. Ein Mensch, der auf seine Gene hin ausgewählt wird, um als Ersatzteillager herzuhalten - der Dammbruch?

Offenbar nicht. Die Antwort der britischen Behörden auf die Bitte des Ehepaars fiel eindeutig aus: Antrag abgelehnt.

Vor Jahresfrist erst diagnostizierte der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger eine „manische Phase". Allen voran die Biowissenschaften hätten uns mit ihren Heilversprechen in den Zustand der Fortschrittseuphorie versetzt. „Nun können in einer manischen Phase, die sich ja eben durch ihre Besinnungslosigkeit auszeichnet, Proteste und Einreden naturgemäß keine nachhaltige Wirkung entfalten", heißt es bei Enzensberger. „Auch die Politik erweist sich dem wissenschaftlich-industriellen Komplex gegenüber als ratlos und ohnmächtig."

Ratlos. Ohnmächtig. Besinnungslos. Vergleichen wir das mit zwei weiteren Nachrichten der letzten Tage: Das Europäische Patentamt zieht das Patent für ein Verfahren zur Gewinnung von embryonalen Stammzellen zurück. Warum? Aufgrund von Protesten und Einreden. Und: Die EU-Kommission gibt bekannt, die finanzielle Förderung für Forschung mit menschlichen embryonalen Stammzellen vorläufig auszusetzen. Eine Besinnungspause sei gut – bis Ende 2003.

Sieht so ein Dammbruch aus? Wie es scheint will der Dammbruch, der uns vor einem Jahr immer wieder unmittelbar bevorstand, einfach nicht eintreten. Was stattdessen eintritt, ist Ernüchterung. Tatsächlich hatte das Dammbruch-Argument von Anfang an eine Schwäche. Denn es sagt: Noch ist alles in Ordnung, es wäre auch okay, diese Sache hier zu erlauben, aber wo das hinführen könnte… Das Dammbruch-Argument setzt voraus, dass wir noch moralisch intakte Entscheidungen treffen können, zukünftige Generationen aber nicht mehr.

Vor wenigen Monaten, in der manischen Phase, gab es Tag für Tag eine neue Nachricht über Stammzellen. Jetzt nicht mehr. Haben wir uns etwas vorgemacht? Nein, die euphorische Phase hatte auch ihr Gutes: So manche Arzthelferin oder Steuerberater haben sich binnen kurzem das gentechnische Wissen eines durchschnittlichen Biolehrers angeeignet. Der Intensivkurs hat Wirkung gezeigt: Nie zuvor wurde die Forschung von so vielen Menschen so genau begleitet.

Die Lenker unseres Schicksals, das sind eben nicht die anderen, nicht die Putschisten im Labor. Wir entscheiden, was wir von der Gentechnik wollen – und was nicht.

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