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Genschers Kolumne: Schicksalsjahr 2009

Das Jahr 2008 wurde zum Jahr des Offenbarungseides. Jetzt muss sich zeigen, ob die Welt aus ihren Fehlern gelernt hat, meint unser Kolumnist Hans-Dietrich Genscher.

Das Jahr 2008 wurde zum Jahr des Offenbarungseides. Das Scheitern der Politik des amerikanischen Präsidenten George W. Bush wurde weltweit offenkundig. Offenkundig wurde auch, dass die Welt sich seit dem Ende des Kalten Krieges revolutionär verändert. Neue Kraftzentren sind Realität. Galt noch vor zehn Jahren das Bestreiten einer unipolaren Weltordnung, fokussiert auf Washington, als antiamerikanisch, so ist heute die Realität einer multi polaren Weltordnung anerkannt, aber die Konsequenzen daraus werden nur zögernd gezogen. Trotz Drängens der Bundesregierung die G 7/G 8 um die neuen globalen Mitspieler zu erweitern, ist es noch immer bei G 7/G 8 geblieben. Hier mischt sich Wagenburgmentalität mit rückwärts gewandtem Besitzstandsdenken.

Die globale Finanzkrise erfasst die Realwirtschaft, die Fehl entwicklungen an den globalen Finanzmärkten zeigen, wie recht die Bundeskanzlerin hatte, als sie beim Weltwirtschaftsgipfel in Heiligendamm Regeln für die Transparenz der Finanzmärkte verlangte. Sie scheiterte damals am Widerstand Washingtons. Die Auswirkungen der amerikanischen Finanzkrise bestätigen die Konsequenzen globaler Interdependenz mit den Auswirkungen von Entwicklungen in einzelnen Ländern auf die gesamte Welt. Je größer das Land, umso stärker die Wirkung im Guten wie im Schlechten.

Man erinnere sich der geringschätzigen Kritik am „Rheinischen Kapitalismus“, gemeint war die soziale Marktwirtschaft. Sie verstand Freiheit nicht als Recht des Stärkeren, sondern als fairen Wettbewerb unter den Rahmenbedingungen einer durch Transparenz gekennzeichneten Wirtschafts ordnung mit der Möglichkeit der Sanktionierung von Regelverstößen. Die ethischen Grundlagen der sozialen Marktwirtschaft gerieten immer mehr in Vergessenheit. Europa hat 2008, vor allem dank der französischen Präsidentschaft, gehandelt. In Georgien wurde die Kriegsfackel noch rechtzeitig gelöscht. Während die Nato in Halbstarkenmanier eine Nato-Ratssitzung im Nichtmitgliedstaat Georgien abhielt, lässt die EU zunächst einmal die Ursachen der Ereignisse in und um Georgien untersuchen. Mit der Forderung nach der 20er-Konferenz in Washington trug die EU der Tatsache Rechnung, dass die Welt nicht mehr durch G 7/G 8 repräsentiert wird. Die neuen globalen Mitspieler – Energielieferanten eingeschlossen – gehören dazu.

2009 wird zeigen, ob die Welt aus den Fehlentwicklungen gelernt hat. Die Vitalität der amerikanischen Demokratie zeigt die Wahl Obamas. Er muss jetzt in seiner Regierungserklärung den Wandel definieren. Europa sollte sich auf den dann notwendigen trans atlantischen Dialog auf gleicher Augenhöhe vorbereiten.

Zu den vor uns liegenden außenpolitischen Aufgaben hat Außenminister Steinmeier einen bemerkenswerten Artikel geschrieben. Seine Vorschläge, die von der nuklearen Abrüstung über die Forderung nach einem neuen Harmel- Bericht zur Revitalisierung der Nato bis hin zu einer konstruktiven Antwort auf den russischen Präsidenten reichen, verdienen, gründlich diskutiert zu werden.

Deutschland wird seine Verantwortung wahrnehmen. Das Zögern geht zu Ende. Auch die Bundesregierung steuert auf ein zweites Konjunkturprogramm zu. Hoffentlich wirkungsorientierter und in besserer Harmonie von konjunkturellen Notwendigkeiten und gesamtstaatlichen Erfordernissen. Die angekündigte Einbeziehung von Bildung, Forschung und Umweltschutz lässt hoffen. Auch für Deutschland muss im Krisenjahr 2009 gelten: so viel Gemeinsamkeit wie möglich. Das verlangt einen großen gesellschaftlichen Konsens. Die Einladung zu der Konferenz im Bundeskanzleramt war deshalb richtig. Die Opposition nicht einzuladen, war ein Fehler. Man wird sie noch brauchen, um Mehrheiten der Verantwortung zu sichern. Und auch den Bundesrat sollte man nicht vergessen. Und schließlich sollte auch bedacht werden, dass das Jahr 2009 über das Mandat dieser Regierung hinausreicht und die Probleme leider auch. 2009 wird ein Schicksalsjahr. Das verlangt Klarheit, Weitsicht und Entscheidungskraft.

Der Autor war von 1974 bis 1992 Bundesaußenminister.

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