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Meinung: Gentechnik: Die normierte Gesellschaft

Was hat die Präimplantationsdiagnostik (PID) mit der Sterbehilfe und der Zuwanderung zu tun? Ganz einfach.

Was hat die Präimplantationsdiagnostik (PID) mit der Sterbehilfe und der Zuwanderung zu tun? Ganz einfach. Bei den Debatten um alle drei Themen geht es im Grunde um das Ähnliches. Um die Frage nämlich, ob wir einer Gesellschaft den Weg ebnen, in der Behinderte, Kranke und Angehörige fremder Kulturen tatsächlich genauso willkommen sind wie diejenigen, die der westlichen Leistungs- und Schönheitsnorm entsprechen. Oder ob wir nur darüber reden und faktisch aber auf Normierung beharren.

Zum Thema Online Spezial: Die Debatte um die Gentechnik Bei der Zuwanderungsdebatte zeichnet sich ein Kompromiss ab, nach dem die kulturelle Fremdheit von Einwanderern höchstens dann akzeptiert wird, wenn sie sich dem Leistungsdruck in der Arbeitswelt anpassen lassen. Bei der Sterbehilfe ist zu befürchten, dass Alten und Kranken mit sanftem Druck nahegelegt wird, sich mit einer Pille aus dem Leben zu befördern. Denn das Gebrechliche und Schwache stört.

Und wenn die PID zugelassen würde, würden Behinderte diskriminiert. Sagen die PID-Gegner. Eltern, die dann - quasi "trotz" des Embryonenchecks - ein behindertes Kind zur Welt brächten, würden zunehmend unter Rechtfertigungszwang geraten. Das, so heißt es, müsse unter allen Umständen verhindert werden.

Hört sich gut an. Würde auch jeder unterschreiben. Faktisch allerdings ist es schon längst so, dass Millionen Behinderte und Kranke in Deutschland eine Randexistenz führen. Daran erinnern sich Politiker aber höchstens, wenn es der Unterfütterung ihrer Argumente dient. Wie eben jetzt bei der PID. Denn was in unserer Gesellschaft entscheidet, ist nicht der Leistungswille. Den beschwören Politiker allenfalls bei Sonntagsreden. Bundeskanzler Schröder beim 50-jährigen Bestehen des Behinderten-Sportverbandes zum Beispiel. Ansonsten zählt allein, was beim Wollen am Ende herauskommt. An ihrer tatsächlichen Leistungsfähigkeit werden Arbeitnehmer, Sportler und auch Eltern gemessen.

Behinderte Kinder können da nicht mithalten. Ihre Eltern auch nicht. Für Mütter, die ein behindertes Kind zur Welt bringen, ist es heute zudem nahezu ausgeschlossen, einen Beruf auszuüben. In den allermeisten Fällen sind sie gezwungen, ihre gesamte Lebensperspektive dem Kind zu opfern. Für immer mehr Frauen ist aber die Entfaltung im Beruf unentbehrlich. Ist es da nicht verständlich, wenn Frauen in dieser faktisch normierten Gesellschaft nur gesunde Kinder zur Welt bringen wollen? Und die PID befürworten?

Müsste, wer es ernst meint mit der ethisch fundierten Ablehnung der PID, sich nicht gleichzeitig vehement dafür einsetzen, dass behinderte Kinder und ihre Eltern tatsächlich ein gleichberechtigtes Leben führen können? Dass es tatsächlich keine gesellschaftliche Rolle mehr spielt, ob ein Kind gesund oder krank ist? Das zumindest wäre konsequent.

Derart konsequent sind bisher aber nur die Grünen in ihrem Positionspapier zur Gentechnik. Sie verknüpfen ihre Ablehnung eines Embryonenchecks mit dem entscheidenden Hinweis, dass das Verbot der PID nur dann zu rechtfertigen ist, wenn den betroffenen Eltern dadurch nicht die "Aufopferung ihrer Lebensperspektiven abverlangt" wird.

Rot-Grün hat die Lebenssituation von Behinderten in der Tat verbessert. Seit Oktober 2000 ist das Gesetz zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Schwerstbehinderter in Kraft. Rot-Grün hat als erste Regierung ein neues Sozialgesetzbuch eingeführt, das umfassend die Rehabilitation und Teilhabe von Behinderten an der Gesellschaft regelt. Und bis Ende des Jahres soll ein von Behindertenverbänden lange geforderter Gesetzentwurf zur Gleichstellung behinderter Menschen in allen Lebensbereichen vorliegen.

Wenn sich das Nein zur PID und aktiver Sterbehilfe in ein konsequentes Ja für Behinderte, Kranke und Schwache verwandeln würde, könnte tatsächlich ein Ruck durch die Gesellschaft gehen. Hin zur gelebten Vielfalt. Aber erst dann.

Die Politik jedenfalls wird sich auf Dauer nicht vor der grundsätzlichen Entscheidung drücken können, ob sie die Weichen, auch die finanziellen, in Richtung einer geschlossenen oder offenen Gesellschaft stellt. Auch wenn sie jetzt noch so tut, als gehe es bei der Zuwanderung, bei der Sterbehilfe oder bei der Gentechnik um Fragen, die nichts miteinander zu tun haben. Oder wenn sie suggeriert, bei der Frage, ob junge Frauen ein behindertes Kind bekommen, die kranke Großmutter einem personell unterbesetzten Altenheim überlassen, handle es sich lediglich um private Probleme.

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