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Meinung: Größer als Kohl

Der Spenden- und Antisemitismusskandal der FDP stößt in neue Dimensionen vor

Nennen wir sie der Einfachheit halber mal FDP-Affäre. Sie hat das Zeug, einen geordnet denkenden Menschen mit breiter Speicherkapazität im Hirn in den Wahnsinn zu treiben. Fast unmöglich, den Überblick über all das zu behalten, was sich diese Partei seit April an Skandalen geleistet hat: Zunächst der verbale Tanz um den Antisemitismus, gefolgt vom schriftlichen in Form eines Flugblattes. Dann ist dieses Flugblatt auch noch illegal finanziert (wobei man lieber gar nicht wissen möchte, wer für diese Schmuddelflyer so viel Geld ausgibt). Diejenigen, die außer dem Initiator Möllemann von dem Flugblatt wussten, fanden es nicht interessant genug, um anderen davon zu berichten. Und diejenigen, die das Flugblatt hätte interessieren müssen (die Parteioberen in Berlin), haben besonderen Aufwand betrieben, um gar nicht erst davon zu erfahren.

Erst jetzt, da nicht mehr zu verheimlichen ist, dass in Nordrhein-Westfalens FDP über Jahre hinweg ein haltloser Hasardeur das Sagen hatte, schaut die Parteiführung etwas kritischer nach Westen. Und stellt fest: Je tiefer wir graben, desto ekliger wird’s. Anfang der Woche sind sie auf weitere Leichen im liberalen Keller gestoßen: Schon Möllemanns Landtagswahlkampf im Jahr 2000 wurde möglicherweise aus illegalen Quellen finanziert, der 9,8-Prozent-Erfolg vielleicht mit bis zu 500 000 Euro Schwarzgeld gekauft.

Das alles gehe an die Seele der Partei, sagt der Schatzmeister Günter Rexrodt. Mehr noch: Die FDP ist beinahe bankrott. Finanziell und moralisch. Diesen Eindruck kann auch der aufrecht aufklärende Rexrodt nicht verdrängen. Der macht seine Arbeit zwar anständig. Bloß hilft das der FDP wenig. Die ohnehin am Rande der Pleite wandelnde Bundespartei muss sich auf Rück- und Strafzahlungen in Millionenhöhe einstellen.

Denn allmählich scheint Jürgen W. Möllemann auf eine Gesamtleistung beim Einsammeln illegaler Spenden zu kommen, vor der sich selbst Helmut Kohl in Ehrfurcht verneigen müsste. Überhaupt wird dieser Tage viel verglichen zwischen dem Spendenskandal der NRW-FDP und dem Schwarzkontensystem der Herren Kohl, Leisler Kiep und Kanther. Wobei man bei allen Parallelen nicht den Wesensunterschied beider Skandale vergessen sollte. Bei der CDU ging es allein um eine illegale Spendenpraxis. Bei der FDP wurde zudem mit offenbar schmutzigen Spenden noch eine unanständige Politik finanziert – ein Flugblatt etwa, in dem ein Möllemann als rechtschaffene Alternative zu zwei Juden, Ariel Scharon und Michel Friedman, präsentiert wurde. Dagegen kommt einem Helmut Kohls Antrieb zum illegalen Spendensammeln, dass nämlich die bösen Sozis bloß nicht an die Macht kommen dürften, fast schon als harmlose, irgendwie rührende Marotte eines älteren Mannes vor.

Was hilft nun? Zunächst mal: sehen, was ist. Guido Westerwelle sollte endlich von seiner Autosuggestion abrücken, dies alles sei die Schuld eines einzigen Mannes. Kann es denn sein, dass der jahrelang illegale Spenden eintreibt und Flugblätter druckt, ohne dass ihm andere dabei geholfen haben? Natürlich nicht. Der Kreis der Mitwisser und Mitmacher muss bedrohlich groß gewesen sein. Kann es denn sein, dass ein Parteivorsitzender von nichts eine Ahnung hatte, obwohl er aus der Mitte dieses verruchten Landesverbandes kommt? Obwohl er lange treu an Möllemanns Seite marschierte? Westerwelle behauptet das noch immer; es wird täglich schwerer, ihm zu glauben.

In NRW ist die Antwort weniger kompliziert. Der von Westerwelle proklamierte „Neuanfang“ ist mit dem alten Personal des Landesverbandes nicht zu schaffen. Die Damen und Herren, die jetzt schon wieder als Kandidaten für die Spitzenämter in Landespartei und Landtagsfraktion herumgeistern, haben Möllemann bis zum Schluss gestützt, haben Westerwelle bei dessen Interventionen in Düsseldorf jedes Mal auflaufen lassen. Mit diesem Establishment kann man vielleicht noch einen „Jürgen W. Möllemann Gedächtnisverein“ führen, aber nicht das zurückerlangen, was diesem Landesverband fehlt: Seriosität und Rechtschaffenheit.

Markus Feldenkirchen

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