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Meinung: Hurra, wir schrumpfen?

Der deutsche Kindermangel wird der Welt nicht helfen Von Kostas Petropulos

Deutschland kämpft energisch gegen seinen Kinderschwund. Und die UN melden gerade einen weiteren, besorgniserregenden Anstieg der Weltbevölkerung auf 9,2 Milliarden Menschen bis zum Jahr 2050. Vor diesem Hintergrund halten vermeintlich progressive Zeitgenossen unsere demografischen Sorgen für höchst provinziell. Vielmehr sei es höchste Zeit, der Alterung und Schrumpfung unseres Landes endlich die positiven Seiten abzugewinnen. Weniger Kinder seien auch eine große Chance. Damit könnten wir das vorhandene Geld in die gute Bildung für die kleinere Kinderschar und in richtig schöne Kindergärten mit genügend Pädagogen stecken. Selbst die jungen Alten der Generation 50+ müssten nicht länger um ihren Arbeitsplatz bangen. Schon bald würden sie von den Personalchefs sogar hofiert. Kurz: Die kommende Altenrepublik Deutschland ist kein Schreckgespenst, sondern eine Verheißung.

Warum machen wir uns angesichts dieser rosigen Aussichten eigentlich Sorgen? Sind wir Deutschen wieder nur Opfer unseres Pessimismus? Ist das Bangen um die Sicherheit der Renten oder die Finanzierbarkeit der Kranken- und Pflegeversicherung unbegründet?

Ja! – bestätigen uns zukunftsfrohe Kommentatoren und Fachleute. Der Schlüssel unseres Wohlstandes „lag und liegt in der stets wachsenden Produktivität“. So habe etwa im Jahr 1900 ein Bauer acht Menschen versorgt, im Jahr 2000 ernährte ein Landwirt 80. Mehr und bessere Technik lautet die Zauberformel. Doch das ist eine Schimäre. Denn anders als früher bedarf unserer Wohlstand kaum eines erhöhten Ausstoßes an Produkten. Gefragt sind viel mehr Dienstleistungen, vor allem solche, die den persönlichen Umgang mit Menschen erfordern: in den Kindergärten, den Schulen, den Universitäten, den Krankenhäusern oder im Pflegebereich. Hier sind dem Technikeinsatz Grenzen gesetzt. Wer will sich im Krankenhaus schon gern von einem effizienten, aber seelenlosen Pflegeroboter umsorgen lassen? Daher brauchen wir für diesen rapide wachsenden Bereich personenbezogener Dienstleistungen auch in Zukunft eine ausreichende Zahl von Menschen.

Aber müssen die unbedingt jung sein? Sicher können bei der Kranken- und Altenpflege oder bei anderen gesellschaftlich notwendigen Tätigkeiten Menschen über das 65. Lebensjahr hinaus eingesetzt werden. Aber wissenschaftlich- technische Forschung, Innovationen und deren rasche Einführung in Betriebe und Alltag sind eine Domäne der Jugend. Dasselbe gilt für Kunst, Kultur und neue Formen des Arbeitens und Zusammenlebens – nicht die Alten, sondern die Jungen waren und sind der Motor des Wandels.

Daher wird unsere alternde und schrumpfende Gesellschaft sich auf eine nachlassende Produktivität und damit sinkenden Wohlstand einstellen müssen. Selbst die Hoffnung, wenigstens unser Arbeitslosenproblem zu lösen, ist trügerisch. Mit der kleineren Nachwuchsgeneration sinkt zwar das Angebot an Arbeitskräften. Allerdings genauso die Zahl von innovativen und risikobereiten Unternehmensgründern oder Unternehmensnachfolgern – also genau derjenigen, die Arbeitsplätze erhalten oder neue schaffen.

Das Schwinden unserer Nachwuchsgeneration ist Ausdruck einer tiefreichenden Krise des deutschen Lebensmodells. Schon seit Jahrzehnten haben wir unser Gemeinwesen ausschließlich als Dienstleistungsbetrieb für die Wirtschaft organisiert. Männer wie Frauen kam und kommt dabei die Aufgabe zu, sich flexibel und stets einsatzbereit in die auf Effizienz getrimmte Arbeitswelt zu integrieren. Als Lohn dafür winkte ihnen die Aussicht auf ein Leben mit einer Fülle von Konsum- und kommerziellen Freizeitmöglichkeiten. Tatsächlich war dieses Modell Deutschland jahrzehntelang wirtschaftlich höchst erfolgreich.

Allerdings führte es nicht nur zu einem individuellen Lebensstil, der unsere natürlichen Grundlagen genauso wie die Menschen in der sogenannten Dritten Welt rücksichtslos ausbeutet. Bei diesem Lebens- und Arbeitsmodell ist vor allem immer weniger Platz für Kinder. Mit dem massiven Globalisierungsschub der letzten Jahre hat sich die Situation noch verschärft: Wirtschaftliche Sicherheit und materieller Wohlstand über eigene Erwerbstätigkeit ist für die Nachwuchsgeneration nur mit noch größerer Einsatzbereitschaft zu haben. Das heißt mit noch größerem Verzicht auf Freiräume jenseits der Arbeitswelt.

Freiräume, in denen bislang die Entscheidung für und das Zusammenleben mit Kindern fiel, aber ebenso das Engagement in der Nachbarschaft, in Vereinen oder in Verbänden. Bereiche, in denen Verantwortung für und die Rücksichtnahme auf anderen Menschen gelebt werden. Diese Erfahrungen schaffen zugleich die Voraussetzungen für eine Lebensweise, die die globalen ökologischen und demografischen Konflikte im fairen Ausgleich zu lösen sucht. Die Schrumpfrepublik Deutschland nützt daher niemandem.

Der Autor ist Sprecher des Heidelberger Büros für Familienfragen.

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