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Unser Kolumnist Matthias Kalle.

© Privat

Ich habe verstanden: Ostwestfalen schafft sich ab

Unser Kolumnist Matthias Kalle ist Ostwestfale und in Berlin schlecht integriert. Trotzdem will er nicht Sarrazin lesen, sondern lieber Kirsten Heisig.

Am Dienstag sagte meine Frau zu mir, als sie mir entgegen kam und ich mich ehrlich freute, sie zu sehen: „Wer lacht hat noch Reserven.“ Fand ich genau eine Sekunde eine Unverschämtheit. Dann hatte ich plötzlich noch mehr Reserven. Ich frage meine Frau, die ich seit sechs Jahren kenne, wo sie denn diesen Satz jetzt hergekramt hätte, nach all der Zeit, die wir uns kennen. Meine Frau sagte, sie haben diesen Satz von ihrem Chef gehört, offensichtlich öfter.

Chefsätze. Ganz eigene Kategorie. Menschen, die keine Chefs sind, kennen solche Sätze ja gar nicht, aber es stimmt auch nicht, dass es heimliche Chefseminare gibt, wo man denen dann solche Sätze beibringt, Sätze wie: „Wie lange arbeiten Sie hier schon? Morgen einmal nicht mitgerechnet...“

Thilo Sarrazin – nein, keine Angst, nur mal so nebenbei – war ja auch mal Chef, Chef vom Berliner Finanzressort, und man findet über seine Chefsätze unterschiedliche Angaben. Manchmal liest man, er habe nie gebrüllt, manchmal hört man etwas anderes. Ich glaube, dass es in jedem Unternehmen eine Unternehmenskultur gibt, und wenn man sich in diese Kultur integriert, dann bleibt man länger in diesem Unternehmen, als wenn man die Kultur ablehnt.

Vorgestern sagte meine Frau zu mir, ich habe mich in Berlin schlecht integriert, was mir aber mit Sicherheit auch sehr schwer fallen würde als Ostwestfale. Vor der Frau, die man liebt, kann man die Dinge nicht verheimlichen, das war das erste, was ich dachte.

Mein Frau ist geborene Berlinerin, ich vergesse das manchmal, aber es fällt mir zum Beispiel immer dann ein, wenn wir im Auto sitzen und sie fährt, weil sie schlichtweg weiß, wo man lang fahren muss, manchmal weiß ich das nämlich nicht. In Ostwestfalen, wo ich das Autofahren gelernt habe, ist es relativ egal, wo man abbiegt – nach einer Weile kommt man zwangsläufig da vorbei, wo man hinwollte.

Ich lebe jetzt seit zehn Jahren in Berlin, wenn man mich woanders fragt, wo ich herkomme, dann sage ich: „Aus Berlin“, noch nie hat jemand zu mir daraufhin gesagt: „Ach! Hört man gar nicht.“ Ich glaube auch nicht, dass man sieht, dass ich ursprünglich nicht aus Berlin komme, im Stadtbild falle ich nicht weiter auf. Ich habe meine Frau dann gefragt, wie sie denn darauf komme, dass ich nicht integriert sei, aber da lachte sie nur, gab mir einen Kuss und sagte: „Ist doch nicht schlimm.“

Das Gute ist, dass ich diese Woche nicht über Thilo Sarrazin schreiben muss, sein Name kam in diesem Text bisher nur einmal vor, das liegt daran, dass die Kollegen bereits alles erledigt haben, und die Texte, die ich von den Kollegen las, waren klüger als die Diskussion und klüger als Buch, zum Beispiel der Text im „Tagesspiegel“ vom Freitag von Joachim Huber über den Sarrazin-Auftritt bei „Hart aber fair“, und der Text von Bernd Ulrich in der aktuellen „Zeit“. Danach habe ich vor allem verstanden, dass man jetzt sofort aufhört und gleichzeitig anfängt, nämlich sich konstruktiv mit dem Thema Integration zu beschäftigen und man deshalb anstatt das Buch von Thilo Sarrazin dann doch lieber das Buch von Kirsten Heisig liest.

Meine Frau meinte übrigens gestern, dass das nur ein Witz gewesen sei, dass ich mich schlecht integriert habe, eigentlich würde ich meine Sache ganz gut machen. Da habe ich dann aus Versehen gelacht, eigentlich hatte ich gar keine Reserven mehr.

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