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Matthias Kalle.

© Privat

Ich habe verstanden: Wann der Wutbürger ausrastet - und wann nicht

Alle regen sich über die Bahn auf, aber niemand über verspätete Flugzeuglandungen. Und wer sich über das Fernsehen ärgert, hat wohl noch nie Radio gehört. Matthias Kalle wundert sich.

Ich wundere mich manchmal darüber, dass Menschen sich über bestimmte Dinge aufregen, obwohl doch andere, verwandte Dinge viel schlimmer sind. Ich verstehe es zum Beispiel nicht, dass sich moderne Menschen noch ernsthaft über die Deutsche Bahn aufregen können. Dass die Züge nie pünktlich sind. Dass Züge ausfallen. Dass sie zu voll sind. Und überhaupt! Die Bahn! Bäh!

Über Flugzeuge regen sich die Menschen selten auf, es sei denn, sie wohnen unter einer Einflugschneise. Was ich aber noch nie erlebt habe: Menschen, die im Flugzeug herumbrüllen, weil es nicht pünktlich landet. Ich bin schon ein paar Mal mit dem Flugzeug geflogen, manchmal geht das ja nicht anders, aber noch nie - das schreibe ich gerne noch mal: noch nie – habe ich miterlebt, dass ein Flugzeug zu der Uhrzeit landet, zu der es landen sollte. Flugzeuge landen immer später. Bis man dann ausgestiegen ist, sein Gepäck hat, aus dem Flughafengebäude raus ist und schließlich dort ankommt, wo man hinwollte, kann man mit der Bahn zweimal von Hamburg nach Berlin fahren, Verspätungen eingeschlossen.

Aber über verspätete Landungen regt sich im Flugzeug niemand auf. Flugzeuge starten auch meistens nicht zu dem Zeitpunkt, der angegeben ist. Flugzeuge starten immer später. Ich habe schon erlebt, was passiert, wenn am Berliner Hauptbahnhof ein ICE nicht um 11 Uhr 35 losfährt sondern, sagen wir, um 11 Uhr 37. Da rastet der Wutbürger komplett aus, da schnappt er sich den erstbesten Schaffner und macht den zu Sau. Fragt den, was ihm einfiele. Mann, Mann, Mann.

Es gibt viele, sehr viele Menschen, die sich über das Fernsehen aufregen. Wenn die nur an das Wort „Fernsehen“ denken, kommt ihnen alles hoch. Müll und Dreck fällt ihnen dann ein. Das Programm, die Moderatoren, die Rundfunkgebühren – all das ist eine Zumutung, eine Geißel der Menschheit, am allerschlimmsten sei natürlich so etwas wie „Wetten, dass...?“, zum Glück habe man das seit Jahren nicht mehr gesehen, schließlich habe man ja gar keinen Fernseher.

Es gibt wenige, sehr wenige Menschen, die ähnliches über das Radio sagen, und das irritiert mich. Hören die Menschen kein Radio? Wissen die nicht, was da los ist? Vor allem morgens? Wenn man, noch den lieblichen Traum der Nacht im Kopf, plötzlich von einem Moderator angeschrien wird? Wenn im Radio kein Moderator schreit, dann läuft meist irgendein Lied von den Red Hot Chilli Peppers. Wo ist da jetzt genau der Unterschied in Sachen Grauen zu, sagen wir mal, Markus Lanz? Ich habe noch nie von welchen gehört, die ihr Radio weggeschmissen haben, weil sie das Programm nicht mehr ertragen können.

So was kann man in vielen Bereichen beobachten: Menschen machen sich lustig über die  Wahlplakate der Grünen – und wollen nicht erkennen, dass die Wahlplakate der „Piratenpartei“ viel bescheuerter sind (was vielleicht daran liegt, dass das Wahlprogramm der „Piratenpartei“ eine gewisse Ähnlichkeit hat mit dem der Grünen – vor 30 Jahren). Oder: Menschen schimpfen über den öffentlichen Nahverkehr in Berlin und haben noch nie versucht in Katmandu von A nach B zu kommen. Oder: Manche lesen diese Kolumne, regen sich furchtbar auf, müssten aber mal lesen was Kollege X zum Thema Y schreibt.

Übrigens ist am Samstag der „Tag der offenen Tür“ des Tagesspiegel. Da sollten sie unbedingt hingehen, denn es ist nicht nur interessant zu sehen, wer eigentlich so eine Zeitung macht – es ist auch für die Zeitungsmacher wichtig zu sehen, wer ihre Leser sind. Ich bin auch da. Um 15 Uhr. Lese ein bisschen aus meinen Kolumnen. Und spreche dann mit dem zitty-Chefredakteur Kai Röger über das Thema „Der Kolumnist – das ungerechte Wesen.“ Ich werde natürlich alles abstreiten. Und das Gegenteil behaupten.

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