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Meinung: Im Sandkasten der Weltgeschichte

Von Milosevic über Saddam bis Kambodscha: Weltweit entwickelt sich rapide das Recht

Von Caroline Fetscher

Als Thomas Mann im November 1945 – von Kalifornien aus – die Nürnberger Prozesse kommentierte, war er inmitten der Bitternis doch auch voller Hoffnung. Weitsichtig entwarf der Schriftsteller damals die Hoffnung auf eine „höchste moralische Autorität, eine Weltregierung und gemeinsame Verwaltung der Erde, eine internationale Bill of Rights und ein allgültiges Strafgesetz gegen die Antastung der Rechte des Individuums.“

Unter dem wackligen Dach des Kalten Krieges herrschte freilich zunächst das Gesetz der Abschreckung und der Stärke. Erst seit dessen Ende prescht das internationale Strafrecht mit Siebenmeilenstiefeln voran. In der Tat gilt „Nürnberg“ den Ad-hoc-Tribunalen der Vereinten Nationen für Ex-Jugoslawien und Ruanda als Vorbild, und auch dem UN-unabhängigen permanenten Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) mit Sitz in Den Haag, dessen 94 Vertragsstaaten seit gestern erstmals ebendort tagen – noch bis zum 10. September.

Zwei erste spektakuläre Fälle hat der IStGH mit seinem Jahresetat von etwa 70 Millionen Euro längst im Visier. Um die völkerrechtliche Aufarbeitung der Massaker und Gräueltaten in Kongo und in Uganda soll es gehen.

Gleiches Recht überall auf der Welt? Eines Tages, so glaubte Thomas Mann damals in seinem Nürnberg-Kommentar, den er für eine amerikanische Nachrichtenagentur verfasst hatte, werde die Menschheit „in dem, was jetzt in der zerstörten alt-deutschen Stadt geschieht, ein Vorspiel dieser neuen Wirklichkeit sehen“.

Von universeller Rechtsprechung ist die Weltgemeinschaft nun, bei Anbruch der Epoche des internationalen Rechts, immer noch weit entfernt. Bisher blieb vieles Papier. Supermächte wie Russland und die USA haben das Römische Statut nicht ratifiziert. Saddam Hussein soll vor einem eigenen Ad-hoc-Tribunal im Irak seinen Richtern begegnen. Sudan wird wegen der Verbrechen, die zurzeit in Darfur vor den Augen der Weltöffentlichkeit verübt werden, später wohl kaum mit dem IStGH kooperieren wollen. Und in Kambodscha einigte man sich erst jetzt, ein Vierteljahrhundert nach den Morden an zwei Millionen Bürgern durch Pol Pots Regime, auf ein eigenes Tribunal. Endlich, immerhin. Aber viele von Kambodschas Mördern sind, wie der Diktator selbst, inzwischen unbehelligt gestorben. Und nur ein Bruchteil aller kambodschanischen Anwälte überlebte das Regime Pol Pot.

Was den Alliierten in Nürnberg weitgehend gelang – zügige und effektive Rechtsprechung im Sinne der Rechts und der Opfer –, das bieten heute noch nicht einmal die hochkarätig besetzten und gut ausgestatteten UN-Tribunale für Ex- Jugoslawien und Ruanda überzeugend an. Noch wird gelernt, noch sitzt das internationale Strafrecht im Sandkasten der Weltgeschichte.

Unlängst fürchtete man sogar, das schleppende Verfahren gegen Slobodan Milosevic könnte wegen Prozessunfähigkeit des Angeklagten eingestellt werden. Endlich, nach zwei Jahren, bestellte das Gericht dem Ex-Diktator Pflichtverteidiger. Die beiden Hauptverdächtigen neben Milosevic, Radovan Karadzic und Ratko Mladic, sind zehn Jahre nach dem Friedensvertrag von Dayton und der Anklageerhebung immer noch auf freiem Fuß.

Beim IStGH indes lernt man derzeit dazu – insgeheim kopfschüttelnd, auch über den prominenten Präzedenzfall Milosevic. Tag für Tag verfolgen Mitarbeiter des IStGH die Verfahren an den beiden Pionier-Gerichtshöfen. Straffer, besser, transparenter, wünschen sich viele IStGH-Mitarbeiter, sollen die Prozesse dort laufen. Dazu können ihnen die Demokraten in aller Welt nur eine feste und glückliche Hand wünschen.

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