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In der Krise: Unruhe ist Bürgerpflicht

Weiter so und auf ein Neues in der Finanzwelt, das geht nicht. Wenn die Gemeinschaft letztlich für den Schaden aufkommen muss, darf sie auch die Spielregeln vorgeben. Damit werden der Finanzwelt keine Fesseln angelegt, dadurch wird der Staat vor dem Ruin geschützt.

Wir wollen explizit soziale Unruhen, und wir werden am 1. Mai unser Möglichstes tun, sie zu erreichen“. So erläuterte Markus Bernhardt, Sprecher des „Klassenkämpferischen Block“, die Ziele seiner linken Splittergruppe für die Berliner Mai-Aufzüge. Dass ein Bezirksverordneter der Linken, Kirill Jermak, jene autonome Demonstration anmeldete, an der mehr Menschen als in früheren Jahren teilnahmen und aus der heraus fast von der ersten Sekunde an Gewalttaten gegen die Polizei verübt wurden, schien fast vorauseilender Gehorsam zur Umsetzung der Vorgabe zu sein. Haben wir nun die sozialen Unruhen, vor denen DGB-Chef Michael Sommer warnte, die „explosive Stimmung“, die Gesine Schwan kommen sah?

Beide, Sommer und Schwan, wurden für ihre Äußerungen heftig kritisiert. Sie redeten herbei, was ohne ihre Unheilsbeschwörungen vermutlich niemals eintreten würde, warfen Unionspolitiker beiden vor. Und hatten nicht auch die sich von Tag zu Tag steigernden, menetekelhaften Warnungen konservativer Medien vor einem furchtbaren 1. Mai eine Verstärkerwirkung? Berlins Innensenator Ehrhart Körting glaubt an die Initialwirkung solcher sich selbst erfüllenden Prophezeiungen. Selbst wenn dem so wäre: Weder Politik noch Gewerkschaften noch Medien handeln unverantwortlich, wenn sie jene aufrütteln, die dem Bürger die auch ihnen selbst durchaus bekannten Bedrohungsszenarien am liebsten vorenthalten möchten. Natürlich wusste der Senator vorher, dass in diesem Jahr die Neigung zu Krawall und brutaler Kriminalität in der extremen Linken stärker ausgeprägt war als im Jahrzehnt zuvor. Und selbstverständlich kann auch der Bundesregierung nicht entgehen, dass viele Menschen in diesem Land in großer Sorge sind, ob der Einsatz aller staatlichen Mittel wohl ausreichen wird, die Wirtschaft vor dem völligen Absturz zu bewahren. Aber das hat mit Unruhen überhaupt nichts, mit Unruhe aber sehr viel zu tun.

Tatsächlich gibt es zwischen der sich stärker denn je fühlenden extremen Linken und den etablierten linken Parteien keine Brücken, stellte der Berliner Sozialwissenschaftler Dieter Rucht in einer Analyse fest. Solidarisierungen sind, Kirill Jermak ist eine Ausnahme, weder hier noch sonst irgendwo in der Bundesrepublik wahrscheinlich. Der Bürger möchte seine Gesundheit und die seiner Kinder schützen. Wer auf andere Menschen Steine und Brandsätze wirft, nimmt deren Tod zumindest billigend in Kauf, wenn er ihn nicht gar zum Ziel hat. Potenzielle Verbrecher können niemals Partner von um die Existenz fürchtenden Arbeitnehmern sein.

Die aber, und da schließt sich dann doch der Bogen zu Michael Sommer und Gesine Schwan wieder, wissen in dieser Krise ziemlich genau, wer sie ausgelöst hat und dennoch Profiteur ist und wer zum Opfer wurde, ohne selbst schuldhaft oder auch nur leichtfertig gehandelt zu haben. Nicht nur amerikanische, sondern auch deutsche Geldinstitute, allen anderen voran die wegen ihrer eigentlichen Überflüssigkeit besonders risikofreudig nach Geschäften ausschauenden Landesbanken, haben sich im Handel mit Schrottpapieren engagiert. Dass viele ihrer Manager entweder immer noch im Amt sind, oder sich auf fürstlichen Abschlagszahlungen einen gemütlichen Vorruhestand gönnen, kann den Bürger schon unruhig machen.

Die Politik muss da aufpassen: Weiter so und auf ein Neues in der Finanzwelt, das geht nicht. Wenn die Gemeinschaft letztlich für den Schaden aufkommen muss, darf sie auch die Spielregeln vorgeben. Damit werden der Finanzwelt keine Fesseln angelegt, dadurch wird der Staat vor dem Ruin geschützt. Wir sind diesmal schon mittendrin in einem Prozess, dessen Beschreibung vor einem Vierteljahrhundert noch als Demagogie linker Spinner abgetan wurde – nach der Individualisierung der Gewinne kommt die Kollektivierung der Verluste. Wenn die Bürger in Massenprotesten fordern sollten, dass sich das nicht wiederholen darf, wären wir von einer Revolte weit entfernt. Im Gegenteil. Es wäre heilsam.

Gerd Appenzeller

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