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Meinung: In der Realität angekommen

Wut nur im Bauch: Die Grünen gehen kühl mit der neuen politischen Lage um

Sie gehen unfreiwillig und vorzeitig in die nächste Etappe ihrer Geschichte. Die Grünen sind wahrscheinlich bald in der Opposition. Aber nicht der Verlust von Regierungsposten und Dienstwagen wird der größte sein. Die grüne Partei verliert den Zauber des Anfangs. Nicht einmal eine schwarz-grüne Koalition hätte noch den unwiderstehlichen Reiz des ersten Mals. Selbst wenn es in Baden-Württemberg oder anderswo dazu käme – das wäre eben bloß eine Koalition, nicht mehr ein mit den überschießenden Erwartungen einer Generation aufgeladenes Projekt wie Rot-Grün.

Der Weg in die Opposition ist den Grünen aufgezwungen worden. Nicht Joschka Fischer, sondern Gerhard Schröder hat darüber entschieden und wie eine Partei so eine Schockwelle aufnimmt und verarbeitet, das sagt etwas aus über ihre politische Substanz. Blickt man auf die Wochen nach der Wahl in Nordrhein-Westfalen zurück, dann muss man sagen: Anfänger sind sie nicht, die Ex-Alternativen. Jedenfalls nicht, wenn es um die erfolgreiche Anwendung des politischen und taktischen Handwerkszeugs im Katastrophenfall geht.

Zu den ebenso amüsanten wie typischen Erscheinungen gehört dabei die blitzartige Verwandlung eines angeschlagenen Außenministers in den alten Oppositionellen Joschka Fischer. Keine Frage, dass sein Auftritt im Bundestag nicht nur den eigenen Leute richtig Spaß gemacht hat, die nach Schröders Rede die Hand kaum rühren mochten. Fischers Talent zur polemischen Vereinfachung wird auch den Wahlkampf beflügeln.

Immerhin werden die Grünen sich selbst und der Öffentlichkeit dann bewiesen haben, dass sie gelernt haben, sich schnell auf neue Realitäten einzustellen und das mit Augenmaß. In den grünen Seelen tobt eine ungekühlte Wut über Schröders finalen Entschluss, doch sie haben sich in keiner Phase dazu hinreißen lassen, sie auszutoben. Aus dem rot-grünen Streit in der ersten Woche nach dem 22. Mai sind die Grünen in ihrer Sache als Sieger hervorgegangen. Das Verhalten von Franz Müntefering und Schröder, ob nun so gemeint oder nicht, konnte man als grüner Politiker durchaus so verstehen, als legten die beiden es darauf an, die Grünen geradezu zum Koalitionsbruch zu provozieren. Die Spitzenleute blieben aber nach außen gelassen, und Schröder musste ihnen sogar bescheinigen, dass nicht der Koalitionspartner die Schuld am Scheitern dieser Koalition trägt. Seine Rede zur Vertrauensfrage beschäftigte sich zu Recht mehr mit den Problemen seines Reformkurses für die SPD.

Auch mit der Programmatik, die an diesem Wochenende vorliegt, bewahren die Grünen kühlen Kopf. Sie nehmen Abstand von einer Koalition und ihrer Politik, die nicht mehr fortzusetzen ist. Aber sie schütten das Kind nicht mit dem Bade aus, obwohl ihnen danach ist. Die Grünen halten dabei den Spielraum offen, welche politische Richtung dieser Abstand nehmen wird. Ihre Spitzenverdienersteuer klingt nach Linkstrend, die Finanzierungsdiskussion ist offenkundig um Nachhaltigkeit bemüht. Das sind Zwischenaufnahmen vor dem eigentlichen Moment der Wahrheit, der erst am Wahlabend kommen wird. Was aus den Grünen danach wird, darüber sagt Fischers rhetorischer Schwung wenig, die Gefühle, die am Wochenende dominieren werden, schon viel mehr.

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