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Meinung: In der Tiefe des deutschen Wählerraums

Kein Bundestribunal, keine Landeswahl: Roland Koch wildert anderswo.

Koch, der Wiederholungstäter. 1999 hat er mit einer Kampagne gegen die Doppelstaatsbürgerschaft das Ruder für sich herumgerissen, so wie er es jetzt mit der Jugendkriminalität versucht. Damals wie heute war der Wahlkampf aufgeladen mit ausländerfeindlichen Ressentiments.

Doch dieser Koch-Wahlkampf ist auch eine außerordentliche Abweichung von 1999 und eingefahrenen Mustern. Damals hat Koch die hessische Landtagswahl zu einer Entscheidung gegen die rot-grüne Bundesregierung gemacht, deren Doppelstaatsbürgerplan den Stoff dazu geliefert hat. Eine gängige Polarisierungstaktik. Nicht erst in den rot-grünen Jahren sind Landeswahlen oft zu kleinen Tribunalen über die Bundespolitik geworden. In den guten Jahren haben die Deutschen mit ihrem Sinn für Ausgleich in den Ländern häufig für das Lager gestimmt, das im Bund gerade nicht dran war. In den schlechteren, als schwierige Reformen unumgänglich geworden waren, hat die SPD zuerst und einschneidend durch Entzug ihrer Länderbasis dafür zahlen müssen. Ab 2006 gab es, zum Beispiel in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg, wieder „richtige“ Landtagswahlen, bei denen über die Leistungen der Landespolitiker entschieden wurde, denn da regierten Union und SPD im Bund großkoalitionär.

Dieser hessische Wahlkampf ist keiner, der gegen die Politik der Bundesregierung mobilisiert. Nicht möglich gegen die Kanzlerin. Aber auch keiner, den der amtierende Ministerpräsident als Landesvater gewinnen will. Im Gegenteil: Koch will mit seiner Kampagne von Schwachstellen im Land ablenken, vor allem von seiner Bildungspolitik. Schon im Dezember konnte er einer schwarz-gelben Mehrheit nicht sicher sein.

Kein Bundestribunal, keine Landeswahl: Koch ist mit seinem Rettungsthema in die Tiefe des deutschen Wählerraums gegangen. Dahin, wo Verhältnisse und Meinungen herrschen, über die Bundes- und Landespolitiker jeder Couleur viel lieber schweigen als reden. Wo Milieus entstanden sind, die in keiner der beiden Volksparteien noch echte Repräsentanz haben. Wo die mediale Öffentlichkeit sich die Aufgaben vornehm aufgeteilt hat. Auf der einen Seite die liberale, die Ressentiments zu Recht verachtet, aber wenig davon wissen will, wie sie entstehen. Auf der anderen Seite das Unterschichtenghetto im Privatfernsehen, das mit Ressentiments Quote macht.

In diesen Zonen kann man polarisieren. Aber mit hohem Risiko selbst für den Polarisierer. Koch hat sich, anders als bei der Staatsbürgerschaft, eines Stoffes bedient, den die Politik ignoriert hat, auch er selbst. Wie das ausgeht, weiß heute niemand. Dass Koch diese Ungewissheit ertragen muss, ist das Minimum gerechter Strafe.

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